0824 - Don Jaime, der Vampir
runter?«
»Muss am Wetter liegen«, sagte sie, rückte einen anderen Stuhl zurecht und ließ sich darauf nieder, und zwar so, dass sie Zamorras Oberschenkel benutzen konnte, um ihre Beine hochzulegen. »Mostache, uns dürstet!«, rief sie in Richtung Theke.
»Alte Leute scheucht man nicht so herum«, ächzte der Wirt. »Ich muss erst mal eine neue Flasche öffnen.«
»Solange du den Wein nicht erst lesen und keltern musst…«
Im Hintergrund erhob sich »Malteser-Joe« Gérard Fronton, der seinen Spitznamen seiner einstigen Tätigkeit als Fremdenlegionär verdankte, bei der er ein paar Monate lang auf Malta stationiert gewesen war und seither von der Insel schwärmte.
Mit seinem noch fast vollen Bierglas kam er an den Montagne-Tisch und setzte sich unaufgefordert. »Wo habt ihr denn euren Besucher gelassen? Wollte der nicht mitkommen?«
»Was für einen Besucher?«, fragte Nicole zurück.
»Na, dieser Dingsbums, der mit deinem Chef verwandt ist.«
»Wer hat dir denn den Blödsinn erzählt?«, fragte Zamorra. »Marie-Claire?«
»Aber nein. Die doch nicht. Aber das ganze Dorf weiß doch Bescheid.«
»Don Jaime deZamorra heißt er«, rief André Goadec, größter Weinbergpächter im gesamten Umkreis, vom anderen Tisch her. »Soll ein toller Hecht sein, fährt einen schönen großen alten Wagen, einen Hispaniola… nein… Swissair? Nee, das ist ja ’ne Fluggesellschaft…«
»Hispano-Suiza«, half Nicole aus, absoluter Autofan und Eigentümerin eines ’59er Cadillac Cabrios. »War mal das teuerste Auto der Welt. Und so was fährt dieser Don Don?«
»Don Jaime, nicht Don Don.«
»Kann schon hinkommen mit dem Auto«, sagte Zamorra leise. »Soll das heißen, dass diese Flederratte tatsächlich hier ist?«
»Wie sprichst du denn von einem Verwandten?« Malteser-Joe schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
»Leonardo deMontagne war auch ein Verwandter«, erinnerte Zamorra ihn an seinen dämonischen Vorfahren aus der Zeit der Kreuzzüge. Der war zeitlebens so bösartig gewesen, dass selbst die Hölle ein Ferienort für ihn war. Schließlich hatte ihm der damalige Fürst der Finsternis Asmodis ein zweites Leben gewährt, nur um ihn endlich wieder loszuwerden. Leonardo war trotzdem zum Dämon geworden und hatte eine steile Karriere gemacht, bis Zamorra ihn nach vielen Jahren endlich zur Strecke bringen konnte. Endlich und endgültig. Diesmal würde es keine Rückkehr für den Montagnefürsten geben.
»Don Jaime deSowieso ist jedenfalls nicht bei uns zu Besuch«, fuhr Zamorra energisch fort. »Da mag Marie-Claire noch so viele Gerüchte in die Welt setzen! Woher will sie überhaupt davon wissen?«
»Warum hackst du eigentlich immer auf Marie-Claire herum?«
»Weil sie die übelste Seite der Dorfzeitung darstellt! Also, woher…«
Goadec, Sasson und der Dorfschmied Charles wechselten jetzt ebenfalls zum Montagnetisch, wo Zamorras Cognacschwenker bereits einen beängstigenden Leerezustand erreicht hatte.
Charles winkte Mostache zu. »Noch mal dasselbe - für uns alle.«
»Wer hält den Deckel?«
»Ich! Habe gestern fünfzehn Euro in der Lotterie gewonnen. Damit will ich diese Wirtschaft ankurbeln.«
»Guter Mann«, sagte Mostache. »Ein Volk, das seinen Wirt hungern lässt, verdient nicht zu leben.« [1]
»Dieser Don Jaime«, sagte Goadec, »war letzte Nacht bei Jules zu Besuch. Charlotte hat ihn aus ’ner Disco angeschleppt. Ganz schön verrückt, das Mädchen… sich so einen alten Knochen anzulachen…«
»Charlotte? Heißt Jules’ ehelich angetrauter Parasit nicht Justine?«, brummelte Mostache hinter der Theke.
»Seine Tochter!«, erklärte Goadec.
Zamorra erinnerte sich sehr lebhaft an Charlotte. Sie gehörte zu einer kleinen Clique junger Leute, die früher ständig Abenteuer suchend herumgestrolcht waren und das auch jetzt noch taten, wenn sie wieder mal zusammentrafen. Sassons Sohn gehörte auch dazu, und Charlotte war dabei der männermordende Vamp gewesen, und äußerst freizügig dazu.
Und die sollte Don Jaime aus einer Discothek abgeschleppt haben? Wie alt der Vampir tatsächlich war, wusste Zamorra nicht, wie er überhaupt kaum etwas über ihn wusste, aber vom Aussehen her gleich er einem 50-Jährigen. Mindestens. Da passte Goadecs Bezeichnung »alter Knochen« durchaus.
»Ich gehe mal rüber und hole Charlotte her«, bot Malteser-Joe an. »Irgendwas stimmt da doch nicht. Wenn Zamorra sagt, der Typ wäre nicht hier, Charlotte ihn aber wohl angeschleppt hat, dann ist da doch was
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