Silicon Jungle
FINALE
28. August 2009. Gegenwart.
» Baba , ist das da im Fernsehen dein Freund?«
Er sah vom Spielbrett auf und warf einen Blick auf die Nachrichten, die gerade über den Bildschirm flimmerten. Er bekam Sebastins Gesicht noch so eben zu sehen. Es erstaunte ihn immer wieder, dass sein Sohn Adam mit gerade mal sechs Jahren derart gut Dame spielen konnte und gleichzeitig genau mitbekam, was um ihn herum vor sich ging.
»Woher kennst du ihn denn, Adam?«
»Du hast gestern mit Ummi gesprochen.« Adam grinste verschmitzt. »Du hast gesagt, du wolltest ihn besuchen.«
»Du bist zu schlau, Adam. Ja, Sebastin war ein sehr guter Freund von mir. Er hat dafür gesorgt, dass unsere Gebete erhört wurden.«
»Was hat er gemacht?«
»Er hat unsere verlorenen Brüder gefunden. Er hat fünftausend von unseren verlorenen Brüdern gefunden«, antwortete er. Als er die Zahl zum ersten Mal aussprach, konnte er erneut sein Glück kaum fassen.
»Waren die richtig verloren?«
Lächelnd zog er Adam in seine Arme. »Ja. Sie waren richtig verloren. Sie waren so verloren, dass sie nicht einmal wussten, wie verloren sie waren.« Mit einer schwungvollen Handbewegung und einem warmen Lächeln sagte er: »Jetzt haben wir sie wiedergefunden.«
Doch Adam blickte noch immer besorgt. Die Stirn des Sechsjährigen legte sich in tiefe Falten. »Im Fernsehen haben sie gesagt, er ist heute gestorben.«
Er blickte seinen Sohn stolz an. Der Junge hörte immer zu, nahm ständig alles in sich auf.
»Bist du traurig, Baba ?«
»Warum, Adam? Warum sollte mich das traurig machen? Es ist Gottes Wille. Warum sollte ich darüber traurig sein, dass Gott so entschieden hat?« Es schmerzte ihn sehr, gegenüber seinem Sohn das Wort »Gott« zu benutzen. Jeder in der Familie zog seine Entscheidung in Zweifel. Aber er hatte sie getroffen, und somit stand sie fest. Auch er hätte Gott gern bei Seinem richtigen Namen genannt, aber so würde es für Adam leichter sein, in Amerika aufzuwachsen.
» Baba , hat er gewusst, dass er sterben würde?«
Er dachte knapp zwölf Stunden zurück, konzentrierte sich auf die noch immer deutliche Erinnerung an die wenigen Minuten, in denen auch Sebastin die Unumgänglichkeit seines Handelns bewusst geworden sein musste, und erwiderte: »Ich glaube, das hat er, Adam.«
»Hab ich mir gedacht.«
Es erstaunte ihn, wie sein Sohn so etwas sagte. »So, jetzt machen wir den Fernseher aus und spielen zu Ende«, sagte er, während er Adam aus seinen Armen entließ. »Du wirst immer erwachsener, Adam. Du weißt schon eine ganze Menge. Aber pass auf. Diesmal lass ich dich vielleicht nicht gewinnen.«
FUSSKETTCHEN
Januar 2009.
»Stephen, bitte sofort in Allisons Büro«, plärrte es aus der Sprechanlage. Stephen ging automatisch los, vorbei an den Bio-Limonaden, Recyclingpapierprodukten und den neusten Rasen- und Kompostierartikeln nach hinten in den Laden. GreeneSmart, Silicon Valleys riesige und frisch umbenannte »ökologische, komplett grüne« Antwort auf große Kaufhausketten wie Walmart und Target, war drauf und dran, seine Türen für den Tag zu öffnen. Sobald das geschah, würde es für Stephen wieder nur eines bedeuten – hin und her hasten, um auf die zahllosen Hilferufe aus jedem Winkel des Gebäudes zu reagieren, wenn Computer, E -Mails, Drucker, Netzwerke, Faxgeräte oder Telefone streikten.
Er bahnte sich einen Weg zu der Tür mit der Aufschrift »Nur für Personal«. Als er über die Schwelle trat, endete der kalte Boden des Verkaufsraums und wurde durch Teppich ersetzt, der sich gut unter den Füßen anfühlte. Da er Tag für Tag stundenlang stehen musste, wusste er sogar den billigen, fleckigen Teppichboden zu schätzen, der vor Jahren hier verlegt worden war. Er verharrte kurz an der offenen Tür zum Personalbüro mit der Aufschrift »Allison Glace« und trat dann ein.
»Guten Morgen, Mrs. Glace. Was liegt an?« Er klang wie ein Kind, und das wusste er. Seit SteelXchange Pleite gemacht hatte, backte er kleine Brötchen.
»Das Übliche. Meine Tastatur streikt mal wieder«, erwiderte Allison.
Stephen wusste bereits, wo das Problem lag, bevor er den Computer angesehen hatte, und er vermutete, dass auch Allison es wusste. Mindestens zwei- oder dreimal im Monat kickte Allison versehentlich das Tastaturkabel aus der Rückwand des Computers, wenn sie sich die Schuhe auszog. Er hatte Allison schon zigmal erklärt, wo das Kabel eingestöpselt werden musste, doch jetzt stand er schon wieder hier in ihrem
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