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083 - Das Gasthaus an der Themse

083 - Das Gasthaus an der Themse

Titel: 083 - Das Gasthaus an der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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sie wirklich lästig. »Zu meinem größten Bedauern muß ich Ihnen sagen, daß Lord Siniford von hinnen gegangen ist«, antwortete er schwülstig. »Er ist auch gestorben?« Oaks neigte den Kopf, um eine gewisse Trauer auszudrücken. »Der Tod wartet auf uns alle«, sagte er. »Siniford wurde vom Blitz erschlagen« — er hatte wirklich einen Sinn fürs Dramatische, dieser Golly Oaks! — »oder von Gottes Hand. De mortuis nil nisi bene.« Schweigen.
    »Das tut mir schrecklich leid«, sagte Lila schließlich. Sie war sehr ernst. Vermutlich mußte sie anläßlich dieser neuen Tragödie auch wieder an den Tod von Mutter Oaks denken und glaubte, zwischen den beiden Todesfällen einen unheimlichen und erschreckenden Zusammenhang zu entdecken. »Er wurde ermordet«, sagte Anna. »Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
    Oaks schüttelte den Kopf. »Man darf den Zeitungen nicht glauben — nicht einmal die Hälfte. Für eine Sensation tun sie alles, meine Liebe. Das ist ihr Motto. Auf jeden Fall hat Siniford das Zeitliche gesegnet. Honesta mors turpi vita potior.« Wieder musterte er Anna forschend. Sie konnte unter Umständen sogar sehr lästig werden. Im Geist strich er wieder die schönen Wohnräume, die er ihr in seinem südamerikanischen palacio zugedacht hatte. Sie benahm sich ihm gegenüber geradezu beleidigend, und sie hatte ein viel zu gutes Gedächtnis - leider. Sie mußte Dinge gehört haben... »Schlaf gut, meine Liebe, wir sehen uns morgen«, sagte er zu Lila und sah dann Anna an. »Gute Nacht, Miss.« Seine kalten Augen jagten ihr eine schreckliche Angst ein. »Sei vernünftig«, sagte er geheimnisvoll und ging. Lila hörte nur noch, wie er draußen den Riegel vorschob.

26
    Sie ging zur Tür und drückte auf die Klinke, doch sie war so konstruiert, daß sie sich von innen nicht öffnen ließ. Zum Glück gab es auch an der Innenseite der Tür einen kleinen Riegel, der sie vor ungebetenen Gästen bewahrte. Lila ließ ihn einrasten und ging zu Anna ins Wohnzimmer zurück. Eine Zeitlang standen sich die beiden Frauen gegenüber und sahen sich nur an. »Ich weiß nicht, was ich denken soll«, sagte Lila endlich. »Es kommt mir fast unmöglich vor, daß er ein so schrecklicher Mensch sein soll. Ich bringe es nicht einmal fertig, mich vor ihm zu fürchten. Wahrscheinlich ist er genauso hilflos wie wir.«
    Anna schüttelte den Kopf. »Nein, das ist er nicht. Alles, was ich dir über ihn erzählt habe, ist die reine Wahrheit. Es gibt so vieles, woran ich mich nur unklar erinnere, aber alles, was gesprochen wurde, seit sie mich aus dem Haus am Fluß weggeholt haben, hat sich mir hier drin ganz fest eingeprägt.« Sie legte die Hand auf die Stirn. »Und ich bin jetzt auch völlig klar, Lila. Als ich mich vorhin im Spiegel ansah, war ich entsetzt über das, was aus mir geworden ist. Es ist, als sei ich plötzlich von einem ganz jungen Mädchen zu einer alten Frau geworden. Die Jahre dazwischen sind wie ein Augenblick vergangen, als hätte ich aufgehört zu leben, als ich dich verlor, und wäre, als ich dich wiederfand, aufs neue zum Leben erwacht. Es gibt ein Kirchenlied, in dem eine Stelle vorkommt, die das ausdrückt - es war das Lieblingslied der gnädigen Frau. ›Tausend Jahre sind bei dir, mein Gott..‹ Ich glaube, ich hatte wirklich den Verstand verloren.«
    »Sprich nicht darüber, bitte«, sagte Lila und drückte Annas Arm. »Was sollen wir tun?« »Du denkst noch immer, daß ich ein bißchen spinne, nicht wahr, Liebling? Ich meine, wegen der Geschichte, die ich dir erzählt habe — daß du unvorstellbar reich bist, Lady Pattison deine Großmutter war, daß das Haus abbrannte und so weiter.«
    Lila schüttelte den Kopf. »Ich halte dich überhaupt nicht für verrückt, ich glaube dir jedes Wort. Es ist schwer zu begreifen, aber ich glaube dir. Das Schlimmste ist das über Mr. Oaks — daß er der Anführer der Gummimänner ist. . .« »Aber er ist es, er ist es!« rief Anna heftig. »Du hältst ihn noch immer für einen albernen kleinen Narren, der sich einbildet, singen zu können, aber ich habe gesehen, daß sich große Männer vor ihm krümmten wie Würmer. Der Captain ist so unterwürfig ihm gegenüber, daß sogar ich mich geschämt habe. Eines Abends hörte ich, wie sie sich über die Ehe unterhielten. Natürlich ahnte ich nicht, daß sie über dich sprachen...« »Über mich?« stieß Lila hervor.
    Anna nickte. »Sie nannten zwar nicht deinen Namen, aber heute ist mir klar, daß du gemeint warst. Sie

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