083 - Das Gasthaus an der Themse
sie sich klammern, sonst wäre sie zusammengebrochen. »War ein Freund von dir, nicht wahr, Lila? Schlimm, schlimm, ein wirklicher Verlust für die Polizei. Ein aktiver und intelligenter Beamter, ausgelöscht im besten Mannesalter.« Er heuchelte Bedauern, doch seine Augen ließen sie keine Sekunde los. Lila wußte jetzt sicher, daß er log, und fühlte sich unaussprechlich erleichtert.
Er merkte, daß sie allmählich wieder Farbe bekam, und zog einen falschen Schluß daraus. »Das war ein Schock für dich, nicht wahr, Lila?« sagte er. »Tja, mit solchen Schicksalsschlägen müssen wir alle fertig werden. Überleg doch mal, was es für mich bedeutete, zu erfahren, was mit deiner armen Tante passiert ist. Wo ist Anna?« »In ihrem Zimmer, glaube ich. Willst du mit ihr reden?« Er überlegte kurz. »Nein, ich denke nicht. Ich werde dich heute wahrscheinlich nicht mehr sehen. Bleibt brav, ihr Mädchen.« Endlich brachte sie die Worte über die Lippen, die sie schon die ganze Zeit über hatte aussprechen wollen. »Könnte ich ein bißchen Benzin bekommen, Onkel Golly?« »Was willst du?« fragte er argwöhnisch. »Ich habe ein paar Flecke im Kleid, die ich gern entfernen möchte.« Verstellte sie sich gut genug, um ihn zu täuschen? »Brav, brav, mein Mädchen, halte dich nur sauber und ordentlich. Aber ich weiß nicht, ob wir Benzin haben. Vielleicht geht es auch mit Petroleum.«
Sie nickte nur, weil sie kein Wort mehr herausbrachte. Er ging hinaus und kam nach ein paar Minuten mit einer Flasche zurück.
»Ich habe versucht, Benzin zu bekommen«, sagte er. »Der alte Hausmeister hätte es wahrscheinlich besorgen können, er kennt die Läden in der Nachbarschaft. Aber ich habe ihn auf Urlaub geschickt, und der neue weiß nicht, wo eine Drogerie ist.«
Er wischte sich die Hände an einem Taschentuch ab und rümpfte die Nase. »Riecht scheußlich, das Zeug«, sagte er. »Ich wußte gar nicht, daß man darin etwas waschen kann. Komisch — ich weiß so vieles, aber das wußte ich nicht.« Er war fast wieder guter Laune. »Komm, ich stelle die Flasche ins Badezimmer«, sagte er. »Nein, nein«, wehrte sie hastig und starr vor Schreck ab. »Ich will es hier machen.«
Anna hatte vorgeschlagen, eine Waschschüssel auf den Tisch zu stellen und ihren Mantel danebenzulegen. Oaks gab Lila die Flasche und ging. Anna hörte, daß die Tür geschlossen und der Riegel vorgeschoben wurde, und kam rasch aus ihrem Zimmer.
»Wozu brauchst du Petroleum?« fragte Lila. »Ich bin vor Angst fast gestorben, als er sagte, er wolle die Flasche ins Badezimmer bringen.«
Aber Anna war nicht bereit, ihre Neugier zu befriedigen. Sie schüttete einen Teil des Flascheninhalts in die Waschschüssel. Der Gestank war überwältigend. Da Lila tatsächlich ein paar Sachen reinigen mußte — was sie natürlich mit Wasser tat, da das Petroleum für diesen Zweck gänzlich ungeeignet war —, hatte sie wegen ihrer Lüge wenigstens kein gar so schlechtes Gewissen. Und wenn er zurückkam und merkte, wozu das Petroleum benutzt wurde? Er traute keinem, sah in ihrer Bitte jedoch allem Anschein nach nichts Unbilliges, denn er kam erst am späten Abend wieder.
Im Arbroath Building herrschte den ganzen Tag über lebhafte Geschäftigkeit. Es wurden Konferenzen abgehalten und lange Telefongespräche geführt. Einer der weniger verdächtig aussehenden »Mieter« ging in die City und gab unterwegs auf jedem Postamt mehrere Telegramme auf. Aikness wurde zu einer Besprechung gerufen. Er zitterte vor Furcht, es fiel ihm schwer, seine zuckenden Lippen unter Kontrolle zu halten. Oaks hatte ihm seinen Plan anvertraut, und der war so ungeheuerlich, daß er auch stärkere Nerven als die des Captains erschüttert hätte.
»Ich habe den Jungs einen Kehraus mit Knalleffekt versprochen und ihnen gesagt, daß sie ungeschoren davonkommen werden«, sagte Oaks. »Beides sollen sie haben. Aber du brauchst nicht dabeizusein. Du bringst die beiden Frauen nach Greenwich und stößt zu mir, sobald du zurück bist.« Er schob Aikness eine Karte zu. »Der Wagen bringt dich an diese Stelle« — Oaks zeichnete ein Kreuz auf der Karte ein — »und zwar in genau zwei Minuten. Ich gestehe dir drei zu. Eine Barkasse erwartet dich, und du gehst mit den Frauen an Bord ...« »Glaubst du, daß alles glattgeht?« »Unterbrich mich nicht!« fuhr Oaks den Captain an. »Hör zu! Um neun Uhr elf brechen wir bei Kinshner ein« — das war der größte Juwelier in der Bond Street -, »und
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