083 - Das Gasthaus an der Themse
Fahrpläne und private Aufzeichnungen in Oaks' fürchterlicher Schrift. Er studierte eines der drei Kontobücher, die er tagsüber immer bei sich hatte und nachts ins Bett mitnahm. Es wies ein Guthaben bei der größten brasilianischen Bank aus, das so zufriedenstellend war, daß er in Wohlstand und Luxus leben konnte bis an sein Ende - auch dann, wenn es ihm nicht gelang, an Lilas Vermögen heranzukommen. Die beiden anderen Bücher hatten einen ähnlich tröstlichen Inhalt. Er klappte das blaue Büchlein aufseufzend zu und versenkte es mit den beiden anderen in einer Innentasche seiner Jacke. Raggit Lane saß im Brixton-Gefängnis und hoffte tagtäglich auf ein Wunder, denn er vertraute dem kleinen, intriganten Oaks rückhaltlos. Aber Oaks hatte beschlossen, daß Lane im Gefängnis bleiben sollte, bis die Gerechtigkeit ihren üblichen Lauf nahm. Zum Glück ahnte Lane nicht, daß das Interesse seines Chefs stark nachgelassen hatte, denn Oaks hatte einen spektakulären Plan zur Befreiung seiner Unterführer ausgearbeitet, falls sie einmal das Pech haben sollten, vom langen Arm des Gesetzes am Schlafittchen gepackt zu werden, und Lane erwartete ganz selbstverständlich, daß diese Strategie, wie sie nur ein hervorragender General am Vorabend einer Schlacht entwickeln konnte, in seinem Fall angewendet würde. Aber er war unwichtig geworden, zählte nicht mehr. Oaks hatte einen anderen Plan, der noch grandioser war. Er beharrte nie auf seiner ursprünglichen Absicht, wenn ihm eine bessere Idee kam.
Nicht einmal seine verstorbene Frau hatte geahnt, daß er mit größter Sorgfalt ein Buch führte, in das er jeden Zeitungsartikel, jede Notiz über einen erfolgreichen Raub einklebte. Er hatte ganze Tage damit zugebracht, die Artikel voller Stolz immer wieder zu lesen. Und er geriet außer sich vor Wut, wenn über einen ganz besonders gerissenen Schachzug, den er sich ausgedacht hatte, nicht berichtet wurde. Am liebsten hätte er an die Presse geschrieben und sie auf ihre Unterlassungssünde aufmerksam gemacht, hätte ihn nicht sein geschichtliches Wissen daran gehindert. Oaks kannte die Einzelheiten eines jeden großen Verbrechens der letzten fünfzig Jahre auswendig, und er wußte, wie oft Eitelkeit auch den klügsten Verbrecher zu Fall gebracht hatte. Ein Massenmörder, der seine Opfer stets vergiftete, hatte zum Beispiel an den Leichenbeschauer geschrieben, der den Tod eines der Mordopfer untersuchte, und diese Briefe hatten den Täter aufs Schafott gebracht. Das vergaß Oaks nie.
Kaum waren jetzt die drei Bankbücher in seiner Tasche verschwunden, klopfte es bei ihm. Er ging zur Tür, schob den Riegel zurück und ließ Aikness ein. Der Captain war schon den ganzen Nachmittag ungewöhnlich nervös gewesen. Vielleicht hatte ihn die kleine Auseinandersetzung aufgeregt, bei der die Fronten in bezug auf Lila geklärt worden waren. Schon zweimal hatte er Oaks nach einigen Einzelheiten im Hinblick auf sein nächstes Vorhaben gefragt, und das sah dem sonst ziemlich gleichgültigen Mann nicht ähnlich. Bisher hatte er Befehle und Aufträge stets kommentarlos entgegengenommen und ausgeführt.
Oaks verriegelte die Tür wieder und zeigte mit einer Kopfbewegung auf das Bett. Er hatte in seinem Arbeitszimmer nie mehr als einen Stuhl. »Ich muß dir etwas sagen, Oaks«, begann Aikness. »Du bist ein bißchen durcheinander, ich weiß«, entgegnete Oaks und suchte in seiner Westentasche nach einer Zigarette. »Den ganzen Nachmittag schon hüpfst du herum wie Knallerbsen auf einer heißen Herdplatte.« »Ich fühle mich an Land nicht wohl«, brummte Aikness. »Ich bin Seemann und komme mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. Warum läßt du mich nicht nach Holland fahren und das Boot kaufen? Sie wollen zwar sechzigtausend dafür, wären aber auch mit weniger zufrieden. Es fährt unter holländischer Flagge - ich könnte das beibehalten und eine holländische Besatzung anheuern. Es läuft neun Knoten.« »Und Zerstörer fünfunddreißig«, antwortete Oaks gelassen. »Ich werfe doch nicht sechzigtausend aus dem Fenster, damit du das Vergnügen hast, mich seekrank zu sehen.« »Wo hast du die Gelben hingeschickt?« fragte Aikness gereizt. »Ich erfahre jetzt rein gar nichts mehr.« »Sie sind gut versteckt. Auf einem Lastkahn in der Nähe von Blackwall. Kein Mensch wird noch Lastkähne durchsuchen.« »Ich wußte gar nicht, daß du noch einen Kahn gekauft hast«, sagte Aikness überrascht.
»Du weißt so manches nicht, was ich tue«,
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