0836 - Das Puppenmonster
Leona sah deutlich das kalte Grinsen auf den Lippen, als sie Ivy für einen Moment ins Gesicht schaute.
Die Musik lief.
Ein kurzes Video wurde eingespielt. Fröhliche Kinder erschienen auf dem Bildschirm. Sie lachten, scherzten, sie freuten sich, sie waren einfach happy.
Träge verrannen die letzten Sekunden bis zum Start, und Leona konnte ihre Nervosität nicht ablegen.
Ivy hielt sie in der rechten Hand, die andere wollte sie für die anderen Puppen freihaben.
Der Vorspann lief ab.
Kamera auf sie.
Rotlicht!
Es ging los…
***
Und Leona knipste ihr Lächeln an. Damit hatte sie die erste Hürde überwunden, und plötzlich strömten auch die Worte aus ihrem Mund. »Einen wunderschönen guten Abend, ihr Lieben! Alle wieder da? Habt ihr mich nicht vergessen? Seid ihr mir über die Jahreswende hinweg auch treu geblieben? Ich hoffe es doch, denn Ivy und ich sind wieder auf Sendung. Wir beide freuen uns auf die Sendung, nicht wahr, Ivy?«
»Ja, ja, herzlich willkommen, meine Freunde!« quäkte die Puppe los und fing an zu tanzen, weil Leona sie entsprechend hielt. »Alle meine Freunde sind auch da. Der Kaspar, die Grete, die wilde Wally, die schöne Milly. Hallo, ihr tollen Tanten…«
»Hallo, hallo, hallo…«
Leona gab die Antworten mit verschiedenen Stimmen. Es war für sie eine irrsinnige Anstrengung, die sie aber sehr gut packte. So etwas wie Sicherheit kehrte wieder zurück. Innerlich schob sie die schrecklichen Erlebnisse zurück wie einen bösen Alptraum.
»Ein neues Jahr, stimmt das?«
»Ja, Ivy.«
»Auch für mich?«
»Auch für dich. Für uns alle.«
»Ohhh… ist das toll.«
»Finde ich auch.«
»Was machen wir denn jetzt? Was fangen wir mit dem neuen Jahr an?«
»Da müßten wir gemeinsam überlegen.«
»0 ja, super. Auch mit den anderen hier? Mit Kaspar und so? Würde das klappen?«
»Von mir aus schon.« Leona bewegte die Puppe, damit sie die anderen Figuren der Reihe nach anschauen und jede persönlich fragen konnte. Wieder wurde es für die Frau anstrengend, doch sie meisterte auch diese Hürde.
Was ihr in diesen Augenblicken, wo sie innerlich eigentlich nicht auf diese Sendung eingestellt war, zugute kam, das konnte sie als Routine bezeichnen.
Sie vergaß alles, die Kamera existierte nicht mehr für sie, es gab nur noch die Puppen lind sie.
Das Wunder der alten, doch immer wieder neuen Sendung lief. Die Kids an den Schirmen würden jubeln, und die älteren unter ihnen würden ihr sicherlich wieder Briefe schreiben. So brachte sie die Zeit bis zum ersten Werbeblock hinter sich, und als letzte sprach Ivy.
»Also nach der Pause erzähle ich euch, was man alles für tolle Sachen im Winter machen kann.«
»Wirklich?« fragte Leona noch.
»Versprochen…«
»Also, bleibt dran.«
Aus, vorbei - zumindest der erste Teil. Aufatmend und leicht stöhnend lehnte sich Leona zurück.
Marsha huschte mit der Puderdose heran. »Sie waren gut, Leona, wirklich super.«
»Abwarten«, erwiderte die Bauchrednerin nur…
***
Ich hatte die Sendung ebenfalls verfolgt. Und zwar aus zwei Blickpositionen. Einmal konnte ich die Moderatorin live sehen, zum anderen sah ich sie auf einem nicht weit entfernt stehenden Monitor und wunderte mich schon, wie sicher sich die Frau gab. Ihr schweres Schicksal war ihr nicht anzumerken, den Druck schien es nicht zu geben. Sie gab sich locker.
Dann kam die Pause.
Ein Werbeblock, der speziell auf Kids zugeschnitten war. Produkte wie Spielzeug aller Art, aber auch Fruchtsäfte und Reklame für Hustenbonbons und Kinderkleidung wechselten sich in bunten Bildern ab. Ich war aufgestanden, um mir die Beine etwas zu vertreten, wobei ich in der Nähe meines Stuhls blieb.
Ich schaute zu, wie Leona nachgepudert wurde und sah auch einen mir fremden Mann auf sie zueilen. Er sah aus wie jemand, der beim Sender beschäftigt war. Die Maskenbildnerin verschwand, der Mann blieb. Er stellte sich neben die Moderatorin und redete flüsternd und schnell auf sie ein. Leona hörte zu. Bei jedem Wort schien sie sich tiefer zu ducken. Mir kam sie vor, als stünde sie unter einem Bann, der von diesem Fremden ausging.
Ich sah auch sein Lächeln.
Das gefiel mir gar nicht.
Es kam mir kalt und satanisch vor, zugleich auch wissend und mit einem Zug ins Brutale.
»Dreißig Sekunden!« hörte auch ich die Stimme aus der Regiezentrale.
Der Mann nickte noch einmal, sein Grinsen wurde breiter, dann ließ er die Frau allein. Wohin er verschwand, konnte ich nicht sehen, zudem mußte ich mich
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