0836 - Die Traumzeit stirbt!
gewesen, hätte es die Furchtbaren Schwestern nicht gegeben. Sie gehörten zu den-Traumzeitwesen, waren aber völlig aus der Art geschlagen. Purlimil und Morintji mieden das Gute und taten das Böse. Sie waren das Böse an sich, der Gegenpol, ohne den das Gute nicht existieren kann.«
Woturpa riss eine Wurzel des Mulgastrauchs, der direkt neben ihm wuchs, aus dem Boden und zerbrach sie. Weiße, daumengroße Maden, Wittchetty Grubs genannt, krabbelten heraus. Der Aranta bot sie rundum an. Aber nur die Aborigines griffen zu und verspeisten sie genüsslich, auch wenn ihr Unbehagen sichtlich nicht gewichen war.
»Nun, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Purlimil und Morintji. Die beiden Furchtbaren Schwestern trachteten danach, die neue Schöpfung umgehend wieder zu vernichten, und richteten unbeschreibliches Leid unter den noch jungen Menschen und Tieren Australiens an. Grauen erregende Massaker und die Verwüstung riesiger Landstriche gingen auf ihr Konto, bevor es dem Hohen Rat der Traumzeitwesen endlich zu viel wurde. Er verurteilte Purlimil und Morintji, die sich den Bitten um Mäßigung zuvor hohnlachend entzogen hatten, zur Versteinerung auf alle Zeit. Hier an diesem Platze wurde das Urteil vollzogen, hier befinden sich Purlimil und Morintji noch immer.«
»Sie reden von zwei Dämoninnen, Mister Woturpa, stimmt's?«, murmelte Zamorra. »Ja, sie sind tatsächlich noch da, ich kann sie deutlich spüren. Sie sind… mächtig.«
Woturpa nickte bedächtig. »Sie haben es gut erkannt, Professor. Ja, sie sind mächtig, sind es noch immer, nach all der langen Zeit. Es wird gefährlich, sie zu erwecken, äußerst gefährlich.«
»Was?«, fuhr Nicole auf. »Sie wollen diese Monster erwecken? Hat Ihnen die Sonne ein wenig zu lange ins Hirn geschienen, Mister Woturpa? Sie glauben doch selbst nicht, dass wir diesen Schwachsinn mitmachen. Wir lassen die beiden Mademoiselles mal schön in ihrem jetzigen Zustand und verschwinden so schnell wie möglich wieder von hier.«
»Warum ist es nötig, sie zu erwecken?«, fragte Zamorra, mit keinem Wort auf Nicoles Gefühlsausbruch eingehend.
»Nun, Miss Duval hinderte mich daran, zu erwähnen, dass Purlimil und Morintji nicht nur das Böse an sich waren, sondern als Einzige über eine außergewöhnliche Fähigkeit verfügten. Sie mussten sich nicht an die vorgeschriebenen Pfade und Tore halten, um von der Traumzeit in diese Existenzebene und wieder zurückzuwechseln, sie konnten immer und überall und zu jeder Zeit Übergänge schaffen, alleine durch die Kraft ihrer Gedanken. Diese Fähigkeiten müssen wir nutzen, um in die Traumzeit zu gelangen, ein anderer Weg steht uns nicht mehr offen. Wenn wir ihn nicht beschreiten, ist sowieso bald alles verloren.«
»Nun gut, Mister Woturpa«, erwiderte Nicole. »Nehmen wir mal an, wir lassen uns tatsächlich auf diesen Wahnsinn ein und erwecken Mademoiselle Purlimil und Mademoiselle Morintji. Was passiert dann, wenn wir in der Traumzeit sind? Werden sich Mademoiselle Purlimil und Mademoiselle Morintji daran machen, hier weiterhin alles kurz und klein zu schlagen? Können wir das verantworten?«
»Keine Bange, Miss Duval«, erwiderte der Aranta. »Mir sind nicht nur die Erweckungs-, sondern auch die Zwangsformeln geläufig, mit denen die Furchtbaren Schwestern in Schach gehalten werden können. Es handelt sich hierbei um uraltes Wissen.«
»Ich habe bisher niemals etwas von Purlimil und Morintji gehört«, meldete sich nun Tsangala zu Wort. Es gelang ihm nicht, die Gänsehaut auf seinen Armen zu verbergen. Er zitterte zudem leicht. »Woher weißt du von ihnen, Woturpa?«
Der ließ ein krächzendes Lachen hören. »Mein Vater Carl Strehlow entwickelte nicht nur eine Schriftform für die Aranta-Sprache und schrieb eine Grammatik und ein Wörterbuch, er übersetzte auch die Bibel in Aranta. Auch wenn ich nie wirklich Christ wurde, habe ich sie doch immer gerne gelesen. Eines Tages fand ich in meinem Bibelexemplar, das ich meinem Vater immer vom Nachttisch stibitzte, eine Stelle, die nicht passte und die mich deshalb sofort faszinierte. Sie erzählte von der Schöpfungsgeschichte meines Volkes, von Purlimil und Morintji. Ich prägte mir jedes Wort genau ein, lernte diese Passagen in- und auswendig. Sie enthielten auch die Beschwörungsformeln. Als ich meinen Vater später fragte, gab er zu, diese Geschichte von einem uralten Schamanen zu haben. Diese Geschichte hätte ihn nicht weniger fasziniert als mich und so hätte er sie
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