085 - Von den Morlos gehetzt
zirpenden Wesen strömten. Zahllose kleine Füße trampelten dicht neben ihm über den Boden. Zuweilen, wenn er den Wesen zu nahe kam, spürte er die Berührung einer kleinen Hand in seinem Nacken oder auf dem Rücken. Er roch den fauligen Modergeruch, den sie ausströmten. Mit zusammengebissenen Zähnen gegen Ekel, Schmerz und Angst ankämpfend arbeitete er sich nahe an der Seitenwand weiter in den Gang hinein.
Dicht vor ihm, fühlbar nah, kroch plötzlich eines der Wesen aus einem Loch in der Mauer heraus, glotzte ihn kurz und erstaunt an, um sich dann mit einem Ruck zu erheben. Unverzüglich reihte es sich still in die Schlange der anderen ein und wankte mit ihnen davon.
Eine Weile kniete er noch starr vor Entsetzen neben dem engen Eingang der Höhle, dann begriff er, daß er soeben auf einen gut zu verteidigenden Unterschlupf gestoßen war. Keine Sekunde mehr zögernd, zwängte er sich durch die enge Öffnung in die übelriechende Höhle hinein.
Die Zeit spielte keine Rolle mehr. Meine Füße brannten, als wäre ich durch einen glühenden Lavastrom gewatet. Kilometer um Kilometer war ich in den letzten Stunden gegangen, ohne mir dessen bewußt zu werden. Erst jetzt, als das Zirpen um mich herum anschwoll, wußte ich, daß der weite Weg in die Ewigkeit doch sein Ende hatte.
Der Gang mündete plötzlich, in eine riesige unterirdische Halle, die von transparentem, grünem Licht erfüllt war. Grünliche Dämpfe stiegen aus dem Boden, verursachten Halsschmerzen und Lungenstechen. Das Gewölbe mochte etwa fünfzig Meter Höhe haben. Seine Wände waren glatt, mit glitzerndem Gestein übersät. Nie zuvor hatte ich ein derart gewaltiges Gewölbe gesehen.
Die Wesen verlangsamten nun ihren Schritt, ihre langen Reihen teilten sich und zogen strahlenförmig auseinander. Die Bewegungen erstarben, andächtige Ruhe breitete sich aus, und nur die Kolonnen der Träger schlurften mit wiegendem Gang weiter. In feierlicher Stille trugen sie ihre schrecklichen Lasten auf ein steinernes Götzenbildnis zu, das hinauf bis unter die Decke reichte -ein furchtbares, angsteinflößendes Monstrum aus grauem Gestein, das auf dem Boden kniete und seine riesigen Hände wie bittend dicht über dem Boden hielt. Das Gesicht des steinernen Götzen war kantig, mit scharfgeschnittenen Zügen. Seine tiefliegenden Augen glotzten mit erschreckend echt wirkendem Hohn auf die großen, nach oben gewandten Handflächen hinab.
Moloch, Gott über die Lebenden und Toten! Hüter des Schattenreichs! Die Überlieferungen hatten also nicht gelogen.
Wie ein winziger Zwerg stand ich vor ihm, fror plötzlich unter dem bösartigen, animalischen Lächeln, mit dem er seine Anbeter und Diener empfing. Meine Kehle war rauh und brannte von den Schwefeldämpfen, die mit kaum hörbarem Zischen aus tiefen Rissen und Bodenspalten krochen, um das steinerne Abbild des Gottes wie dienernde Ungeheuer zu umwallen.
Tiefes Schweigen herrschte um mich herum. Die Trägerkolonnen verharrten zu Füßen ihres Gottes. Minutenlange Stille, dann hob das helle Zirpen wieder an. Es klang schauerlich und wehmütig, und augenblicklich kam wieder Bewegung in die Gestalten der Träger. In einzelnen Gruppen traten sie vor die geöffneten riesigen Hände Molochs, legten ihre schrecklichen Lasten in sie hinein, wandten sich ab und verschwanden durch den Dunst der Schwefeldämpfe in einem der unzähligen Gänge. Nachdem der letzte Tote dem Götzen geopfert war, nahmen auch die übrigen Wesen ihre ruhelose Wanderung wieder auf. In langen Reihen zogen sie hinaus, um neue Opfer herbeizuschaffen.
Entsetzt flüsterte ich: „Das kann doch alles gar nicht stimmen. Es entbehrt jeder Logik und Vernunft. Niemals kann es eine so grauenhafte Welt unter unseren Städten geben.“
Plötzlich bewegte sich etwas auf den Handflächen des Kolosses! Ich glaubte einer Täuschung erlegen zu sein und konzentrierte mich auf den starren Körper. Mein Gott! Da bewegte sich ein Arm. Dann wieder das Zucken eines anderen Körpers. Die grünen Dämpfe zogen sich plötzlich zu einem dichten Nebel zusammen, der an den Händen Molochs emporkroch, um die zuckenden, bebenden Körper einzuhüllen. Ein seltsames, hohles Grollen entstand irgendwo im Innern des steinernen Götzen und schwoll zu einem dumpfen Donnern an. Der Boden erzitterte, die Luft wurde heiß, kochte, dann rollte der dumpfe Donner über mich hinweg.
Wie von einer riesigen, unsichtbaren Hand emporgehoben, wurde ich ein paar Meter zurückgeschleudert,
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