0850 - Rache aus der Totenkammer
Blick zu gönnen.
Harry Stahl schaute nicht nur, er leuchtete auch hinein und erkannte, daß Franz Jochem in allem recht behalten hatte.
Es gab diese Kacheln, es gab diese Leere. Es war die Abflußrinne vorhanden, über deren Funktion Harry lieber nicht nachdachte, und er sah auch die Fliesen, die im Licht seiner Lampe einen etwas bläulichen Schein angekommen hatten, als wäre ihre ursprüngliche Farbe vor dem Licht zurückgewichen. Der Staub oder klebrige Schmutz wirkte nicht so schlimm, und auch der Geruch zwischen den kahlen Wänden war ein anderer.
Harry zog die Nase hoch.
»Haben Sie was?«
»Nicht direkt. Ich rieche nur und möchte Sie fragen, ob es schon immer so gerochen hat?«
»Gute Frage.«
»Und? Hat es?«
»Nein, sonst nie.« Jochem hatte die Stirn in Falten gelegt. »Ich kann mir den Geruch auch nicht erklären. Wie riecht es denn?« fragte er sich selbst und gab sich auch die Antwort. »Nach Sauberkeit nicht, aber auch nicht nach Dreck oder Gestank der Toten. Es ist einfach ein anderer Geruch, einer, der nicht in diese Welt hineinpaßt. In diese hier unten, meine ich.«
»Sehr gut gesprochen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ein anderer Geruch«, flüsterte Harry. »Einer, der uns Menschen deshalb fremd ist, weil er nicht aus dieser Welt stammt, sage ich mal.«
Das begriff Jochem nicht. Er sprach dies auch deutlich aus, was den ehemaligen Kommissar lächeln ließ. »Wissen Sie, es ist ja so, mein lieber Jochem. Wenn Menschen denken, daß ihre Welt die einzige ist, die existiert, sind sie dumm und überheblich. Es gibt noch welche außer der sichtbaren, und das sind nicht wenige.«
»Wie meinen Sie das?«
»Andere Dimensionen.«
»Das Jenseits?«
»Auch. Ich denke dabei mehr an Geisterwelten. Totenreiclie. Metaphysische Areale, die ebenfalls bewohnt sind, und von denen Sie auch einen Eindruck erhalten haben. Wenn Sie ehrlich sind, hat sich für Sie für kurze Zeit ein Tor geöffnet.«
»Sie meinen die Fratze?«
»Und auch den Geist der Rita Reinold.«
Franz Jochem schauderte zusammen. »Himmel«, flüsterte er, »Rita ist hier gestorben. Ich war selbst dabei, als man ihre Leiche wegschaffte. Alle Toten wurden in der Nähe begraben, aber kein Stein und kein Kreuz ziert diese Stelle. Deshalb kann ich es mir nicht vorstellen, daß sie zurückgekehrt ist, obwohl ich sie ja mit eigenen Augen gesehen habe. Oder ihren Geist.«
»Eben.«
»Der ist dann aus einer anderen Welt gekommen.«
»Davon dürften wir ausgehen.« Harry Stahl leuchtete die Wände an. Er suchte nach irgendeinem Hinweis, nicht nur auf den Geist der Rita Reinold, sondern auch nach dem Fleck, aus dem die Fratze hervorgetreten war. Aber da war nichts. Nur glatte, etwas hellblau schimmernde Fliesen mit ebenfalls hellen Fugen dazwischen. Es war und blieb ein Rätsel, und Harry sah auch keine Chance, die andere Seite zu locken.
Wäre John Sinclair bei ihm gewesen, sähe es anders aus, aber der Geisterjäger hielt sich in London auf und wartete auf Harrys Bericht.
Es sah für ihn nicht günstig aus.
Das spürte auch Franz Jochem, denn als Harry die Lampe sinken ließ und das Licht einen Kreis auf den Boden zeichnete, sagte er: »Ist nicht so gut, wie?«
»Leider.«
Jochem hob die Schultern. »Ich habe getan, was ich konnte, glauben Sie mir.«
»Moment, Ihnen macht niemand einen Vorwurf.« Harry legte seinem Nachbarn die Hand auf die Schulter. »Aber lassen wir den Augenblick der Erscheinung mal weg. Diese Person ist aus der Wand getreten, Sie haben Ritas Geist gesehen, und er verschwand.«
»Ja.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung, Herr Stahl.«
»Hören Sie auf, sagen Sie Harry.«
»Okay, Harry, ist gut. Er verschwand.« Jochem drehte sich und deutete durch die Tür. »Er muß in den Gang hineingewischt sein. Ja, das ist er sogar, und ich bin überzeugt, daß wir Ritas Geist in diesem Gemäuer nicht mehr finden werden.«
»Ja, davon gehe ich aus. Stellt sich nur die Frage, wo er sich hingewandt hat?«
Jochem hob die Schultern. Im bleichen Licht sahen die Gesichter der beiden Männer käsig aus. »Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Harry.«
»Wobei ich eine Idee habe.«
»Dann bitte.«
»Es ist doch so. Niemand erscheint nur zum Spaß. Hinter jeder Materialisation steckt ein Motiv, ein Grund. Das wird auch bei dem Geist der Rita Reinold so gewesen sein. Sie ist zurückgekehrt, um in dieser Welt eine Aufgabe zu übernehmen.«
Jochem war plötzlich nervös geworden. Es mochte daran liegen, daß sich die
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