0859 - Höllenliebe
Es war eine laue, wunderschöne Sommernacht. Eine Luft so weich wie Samt, ein Himmel, auf dem unzählige Sterne explodierten, als hätte jemand Diamantsplitter auf blauem Samt verteilt. Eine Nacht, um sich hinzugeben und dem Gott Amor zu Willen zu sein.
Naomi tänzelte dem Fluß entgegen. Sie huschte wie eine Fee über den Boden hinweg. Während des Laufens stemmte sie sich gegen den leichten Wind, der mit ihrem Kleid spielte. Es war nur mehr ein dünnes, weit fallendes Etwas, das ihren Körper umschmeichelte. An den Füßen trug die braunhaarige Schönheit flache Sandalen. Ihr Gesicht mit den hochstehenden Wangenknochen und den breiten Lippen erinnerte ein wenig an die Schauspielerin Julia Roberts. Ihr Atem roch nach Minze und anderen Gewürzen, die Naomi gekaut hatte.
Sie war allein.
Nur die Nacht und die Natur umgaben sie, und natürlich die Lockung des Flusses. Sein Rauschen war wie eine Hoffnung, die sich bei ihr meldete.
Der Wald war nicht sehr dicht. Er wuchs an den sanften Hängen in das schmale Tal hinein, durch das sich der Fluß seinen Weg geschaffen hatte. Es war für Naomi eine Offenbarung, das Rauschen zu hören. Endlich hatte die Zeit des Wartens ein Ende. Sie würde IHM begegnen, und es war wichtig, wenn sie sich bis an das Ufer zurückzog.
Sie lächelte und lief schneller. Die Bewegungen der jungen Frau sahen geschmeidig aus, sie glichen denen einer Gazelle. Naomi übersprang leichtfüßig Hindernisse. Die würzige Nachtluft wehte ihr den Geruch der Nadelbäume entgegen. Es war eine Frische, wie Naomi sie liebte, aber es war nicht kühl. Sie hätte auch auf das dünne Kleid verzichten können. Gesehen hatte sie niemand, und es sollte sie auch keiner sehen, wenn das wichtige Ereignis stattfand.
Sie hatte sich darauf vorbereiten und ihre erste Nacht zurückdrängen können. Ja, zuerst war sie erschrocken gewesen, dann aber war ihr klargemacht worden, wozu man sie ausgesucht hatte. Sie würde die Mutter einer neuen Generation werden. Mit ihr würde es beginnen. Immer wenn sie daran dachte, spürte sie den Schauer auf dem Rücken, als hätten sich ihre Erwartung und Vorfreude in einer Gänsehaut manifestiert.
Die Unebenheit des Untergrunds bewies ihr, daß sie sich allmählich dem Ziel näherte. Sie mußte über große, graue Steine hinwegspringen. Sie eilte durch kleine Rinnen oder Mulden, und sie befand sich noch immer im Schatten der Bäume, die allerdings weniger wurden.
Das Rauschen des Wassers hatte sich verstärkt. Besonders in der Stille der Nacht war es gut zu hören. Naomi nahm es anders wahr als andere Menschen. Für sie setzte sich das Rauschen aus zahlreichen Stimmen zusammen, die alle nur auf sie warteten und sich bei ihrem Ruf zu einer einzigen vereint hatten.
Sie lächelte, sprang über Steine hinweg, stützte sich hin und wieder ab, wenn sie klettern mußte.
Trotz der flachen Sandalen fanden ihre Füße immer genügend Halt, und wenn sie die würzige Luft einatmete, hatte sie den Eindruck, sie auch zu trinken.
Der Wind spielte mit dem langen Haar. Er wehte es in die Höhe, und manchmal schlug es wie eine Fahne um ihren Kopf, verdeckte auch die Sicht, aber der folgende Windstoß brachte es wieder in die normale Richtung.
Der Fluß lockte, und auf einem großen Felsklotz blieb die junge Frau stehen. Sie atmete tief durch, beugte sich nach vorn, um die Handflächen auf ihre Oberschenkel zu legen.
Dann schaute sie in die Tiefe.
Sie sah das Wasser!
Es war ein Band, ein sich bewegendes Band, gefangen in einem Bett - schäumend, spritzend, schillernd, ruhig und trotzdem voll gewaltiger Kraft steckend.
Dieser Fluß war etwas Wunderbares. Wasser war die Kraft überhaupt. Wasser war unverzichtbar.
Kriege waren schon deswegen geführt worden. Ohne Wasser gab es kein Leben, nur Tod und Wüste.
Das Wasser floß. Sie schaute fasziniert hin. Manchmal kam es Naomi vor wie ein breiter Spiegel, der dabei war, seine Oberfläche ständig zu verändern. Sie spürte auch die Kühle, die vom Wasser her in die Höhe stieg und gegen ihren Körper wehte. Es war einfach wunderbar, dies zu erleben, und ihr Herz schlug schneller, je stärker sie sich mit dem Gedanken beschäftigte, daß dieses Wasser auch denjenigen transportieren würde, auf den sie so stark wartete.
Mit einem Sprung aus dem Stand ließ Naomi den Felsen hinter sich. Sie kam weich auf und lief den schmalen Pfad entlang, der eine enge Bresche zwischen den Bäumen schlug.
Der würzige Geruch verstärkte sich. Die Kühle nahm zu.
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