0870 - Tabitas Trauerhalle
Schleier.
Bei dem Wort Schleier hakten Janes Gedanken ein, denn auch ER (oder war er eine SIE) trug ebenfalls einen Schleier, so daß ein Gesicht nicht zu sehen war.
Hinter dem grauen Netz malte sich eine bleiche Masse ab, aber mit Augen, einer Nase und einem Mund.
Und natürlich einer Gestalt, an der entlang Jane ihre Blicke nach unten gleiten ließ.
Sie kam nicht umhin, die Größe dieser Gestalt mit Tabitas zu vergleichen, und da stimmte einfach alles. Sogar die Kleidung, obwohl diese sich so ungewöhnlich bewegte und Jane den Eindruck haben konnte, daß sich unter ihr nichts befand.
Ein Gesicht und sonst nichts.
Ein Geist…
Ein zweites Ich!
Jane schossen die Erklärungen durch den Kopf, nur wußte sie nicht, welche richtig war. Worauf konnte sie bauen?
Nur auf sich selbst.
Und auf ihre Waffe!
Nein, auch darauf nicht, denn ihre Tasche, in der die Pistole steckte, hatte sie beim Kampf mit dem magischen Netz verloren. Sie mußte irgendwo auf der anderen Seite liegen.
Also war sie waffenlos.
Tief holte sie Luft. Dabei glaubte sie, die andere Erscheinung zu schmecken, die auf sie zuwehte, denn ein normales Gehen war es nicht. Sie erinnerte sich daran, daß Tabita Leichen sammelte. Sie mußten einfach für diese zweite Gestalt bestimmt sein, an deren Wegende das Ziel Jane Collins lag.
Die Detektivin wich zur Seite aus. Mit dem Rücken schabte sie am Vorhang entlang. Sie spürte das Kribbeln, ignorierte es, aber nicht die seltsame Stimme, die sie plötzlich erreichte. Es war eine Stimme, das stand für sie fest, nur klang diese Stimme ganz anders als bei einem normalen Menschen, und sie hatte auch nichts mehr mit Tabita zu tun. Sie kam von sehr weit her, aus einer anderen Welt oder fremden Dimension, und sie bewegte sich dabei in für Jane völlig fremden Frequenzen oder Dissonanzen. Sie setzte sich aus mehreren akustischen Blitzen zusammen, obwohl der Vergleich nicht stimmen konnte, aber Jane kam es so vor. Sie hörte sich auch an, als würde das Blatt einer stumpfen Säge über Lametta gleiten.
»Du bist die nächste, die man mir gibt, aber du bist nicht tot. Du stehst vor mir, du bewegst dich, und doch wirst du mich stark machen.«
»Wen soll ich stark machen?« flüsterte Jane, die ihre Dumpfheit überwunden hatte. »Wen?«
»Mich!«
»Wer bist du denn? Bist du Tabita? Du siehst so aus wie sie, alles ist gleich, aber… aber…«
»Ich bin sie, und ich bin sie nicht. Wir aber gehören zusammen. Wir sind der Anfang, wir sind das Ende. Wir sind zwei und trotzdem eins. Ich bin ein Stück von ihr, ich bin ihr feinstofflicher Leib, den sie hat vom Körper lösen können…«
Jane wollte es kaum glauben, sie sprach es dennoch zitternd aus. »Ihr… ihr Astralleib?«
»Ja, so ist es.«
»Dann hat sie ihn lösen können? Hat sich der Leib verselbständigt?« keuchte Jane.
»So ist es. Sie schuf mich kraft ihrer Gedankenmacht und ihres geheimnisvollen Könnens. Und sie sorgte dafür, daß ich weiterhin existiere, was nicht so einfach war, denn ich brauche Kraft. Ich brauche die Seelen der Menschen. Ich brauche die Reste, die noch in ihnen stecken. Ich fing die Seelen der Toten auf, bevor sie noch für alle Zeiten davonwandern können, und nur so konnte ich erstarken. Aber ich habe noch nicht genug. Ich schwimme noch immer. Ich bin manchmal da und manchmal weg. Ich kann mich nur in dieser Welt aufhalten, die durch das geheimnisvolle Netz von deiner getrennt ist. Dieses Netz besteht aus Energie, es ist wie der Strom für euch Menschen. Es hält mich noch zusammen, ich kann es anzapfen, aber seine Magie wird schwächer, je mehr ich von ihm nehme. Deshalb brauche ich die Menschen, ich will Seelen haben, frische Seelen, verstehst du…?«
Jane nickte nur. Sie sah ein, daß sie immer mehr in Bedrängnis geriet. Diese Tabita war ein Phänomen. Sie hatte alle täuschen können, indem sie stets von einem ER sprach.
Dieser ER war kein Dämon gewesen, sondern ein Teil ihrer selbst. Ihr Astralleib, dem sie hatte die nötige Stärke geben können durch die Menschenopfer.
Himmel, es gab immer wieder neue Facetten des Schreckens und der bösen Magie, und Jane Collins wußte, daß etwas auf sie zukam, mit dem sie nicht fertig wurde.
Es war einfach SEINE Nähe. Verzweifelt dachte sie darüber nach, wie sie ihm entwischen konnte.
Bei allem was recht war, die Chancen standen nicht gut.
Der Leib schwang heran. Er sah aus, als wäre er von einem Windstoß getroffen worden, und er wehte auf Jane zu.
Sie wollte zur
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