0872 - Die Urbanen
Zudem war er nicht sicher, ob er das auch wirklich schnell genug geschafft hätte, ehe einer dieser verflixten Strahlen ihm ein Loch in den Bauch brannte.
Rechts, wieder rechts… irgendwann liefen sie tatsächlich geradewegs auf die Front des Palastes zu. Ohne langsamer zu werden retteten sie sich in sein Inneres. Nach wenigen Metern stoppte Bebop, wandte sich um. Die Urbanen verharrten draußen, als würde ihnen ein neuerliches Eindringen in diese Hallen Schwierigkeiten bereiten.
Schwer atmend kauerten sich die beiden Krieger auf den Boden, schnappten nach Luft. Sie redeten nicht miteinander, denn das kostete nur unnötige Kraft, die ihre Körper jetzt anderweitig benötigten.
»Sie folgen uns nicht einmal.« Bebops Rede kam stockend hervor. Artimus war froh, hier nicht der Einzige zu sein, der körperlich keine olympiareifen Leistungen erbringen konnte. Aber Bebop hatte Recht. Die Urbanen betraten den Palast nicht. Dafür gab es im Grunde keine Erklärung, denn vorhin waren sie van Zant, Bebop und Laertes ja auch gefolgt.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Van Zant bekam immer mehr den Eindruck, als liefe das alles hier nach einem festgelegten Spielplan ab, ganz so, als würde Szene für Szene abgearbeitet. Der Physiker war sicher, dass auch im hinteren Teil des Palastes - direkt vor dem Loch in der Mauer - Urbane wachten. Sie saßen mittendrin in einer Mausefalle, doch was sollte das für einen Sinn ergeben? Sie mussten doch nur ihre Speere aktivieren, dann konnten sie Uskugen mit Leichtigkeit wieder verlassen.
Van Zant blickte zu Bebop. Es brauchte keine Worte - sie dachten in diesem Moment beide gleich, hatten den gleichen schrecklichen Verdacht.
Es war Bebop, der sich Klarheit verschaffte. Van Zant beobachtete den Dürren, der versuchte, seine Privilegien als Krieger der weißen Städte zu aktivieren. Es dauerte keine dreißig Sekunden, dann war klar, dass aus einem Verdacht bittere Realität geworden war.
Sie waren tatsächlich in eine Mausefalle gelaufen.
Und nun hatten sie keine Chance mehr, sich alleine daraus zu befreien…
***
Zamorra entdeckte Nicole, die sich geschickt unsichtbar gemacht hatte.
Sie war routiniert, wenn es darum ging, dass man sie nicht bemerken durfte. Natürlich - Routine war dabei, doch das war zumindest bei Nicole Duval nicht alles. Sie hatte eine natürliche Begabung, sich absolut geräuschlos vorwärts zu bewegen. Zamorra musste lächeln. Als Indianerin hätte sie eine gute Figur gemacht… doch die machte sie eigentlich immer und überall.
Er selbst hatte sich diese Fähigkeit erst aneignen müssen, denn wie so ziemlich jeder Westeuropäer war auch er lärmend und tapsend wie ein Bär durch die Welt gelaufen. Die Urinstinkte verkümmerten halt, wenn man nicht um seine Nahrung und seine Freiheit kämpfen musste. In anderen Teilen der Erde waren bei vielen Menschen diese Befähigung durchaus noch sehr präsent.
Der Praetor verhielt sich absolut ruhig, seit er das Wurzelgebäude erreicht hatte. Er bewegte sich nicht, schien zu Stein erstarrt, doch der Parapsychologe wusste nur zu genau, wie sehr das täuschte. Die Kreatur war hellwach und bereit, sich von einem Augenblick zum anderen in eine Kampfmaschine zu verwandeln. Zamorra hatte nicht vor, den Praetor zu unterschätzen. Einen solchen Fehler würden er und Nicole kaum überleben.
Das Wesen, dessen Klangmagie von noch nicht endgültig einschätzbarer Stärke war, schien sich nur für einen einzigen Punkt in Armakath zu interessieren - der schmale Eingang des Gebäudes über dem Wurzelschacht. Zamorra war sicher, dass der Praetor nicht mehr lange warten musste.
Eine neue Wurzel, eine neue Wächterin - es war eindeutig, dass Armakath in dem ominösen Plan, von dem niemand mehr als die Tatsache seiner Existenz zu wissen schien, eine große Rolle spielte. Schon einmal sollten Wächterin und Wurzel ausgetauscht werden. Zamorra und Nicole waren nicht unbeteiligt am Scheitern dieser Mission. Auch dieser Versuch musste vereitelt werden.
Zamorra war in der Zwischenzeit ziemlich sicher, dass dieser Plan nur dann in die Tat umzusetzen war, wenn Armakath von den Urbanen besetzt war. Der Professor brannte regelrecht darauf, diese Wesen endlich zu treffen.
Er konnte nicht ahnen, wie nahe er diesem Augenblick schon war.
Ein Flirren in der Türöffnung des Hauses riss Zamorra aus seinen Grübeleien. Die Wartezeit schien vorüber zu sein. Rasch verdichtete sich das Flimmern, nahm eine Form an, die Zamorra wohl bekannt war.
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