0879 - Das Erdmonster
Sie sagte sich selbst, daß sie etwas unternehmen mußte, wollte hineilen, stockte schon beim ersten Schritt, weil die Person ihre Gedanken erraten hatte. »Nein, du wirst mich nicht befreien. Es ist nicht gut, du mußt… du… mußt mich töten. Töte mich!«
»Ich kann es aber nicht, verdammt!« brüllte Jill.
»Nimm einen Stein und schlag mir damit den Schädel ein!«
»Nein, ich!«
»Du mußt es aber tun!«
Jill schüttelte den Kopf. Sie sank in die Knie, sie sah tatsächlich einen Stein vor sich auf dem Boden liegen, aber die Tränen verschleierten ihren Blick, so daß dieser Stein mehr zu einem verschwommenen Fleck wurde.
»Nimm ihn. Töte mich, Jill. Es ist die einzige Möglichkeit, das Licht zu vernichten und viele Menschenleben zu retten. Es hat die Kontrolle übernommen. Es ist ein Teil der Erde, es ist ein Teil von mir. Es will sich rächen. Die Erde wehrt sich. So glaube mir doch, Jill! Bitte, ich habe dich nur deshalb gerettet, weil ich jemand haben wollte, der mich umbringt. Ich kann in diesem Zwischenstadium nicht mehr leben. Es brennt in mir. Ich weiß nicht, ob ich noch Mensch bin oder schon zu dem Licht gehöre. Ich habe oft den Eindruck, mich aufzulösen und zu einem erdigen Schatten zu werden. Es ist alles anders, als du es siehst. Du erkennst nicht die Wahrheit, aber ich!«
Jill McCall hörte jedes einzelne Wort. Es drang in ihr Gehirn ein, als sollte sie es für immer behalten. Es war für Delphi überzeugend gesprochen worden, aber nicht für sie. Jill konnte keinen Menschen töten, mochte das Licht auch noch so glotzen und funkeln, um seine Botschaft abzusenden.
Sie verschloß sich, sie baute eine Wand auf, und sie schaltete einfach ab, als sie sich der Gefesselten ohne einen Stein näherte. Es war einfach der Augenblick im Leben eines Menschen, wo er alles andere zur Seite fegte und nur noch an sich dachte, um seinen eigenen Prinzipien treu zu bleiben.
Kein Mord! Kein Mord!
Es hämmerte in ihrem Kopf. Es hörte sich für Jill an, als würde sie die Worte selbst aussprechen, so intensiv waren die Gedanken.
Sie blieb neben Delphi stehen. Als sie die Arme hob, fing die Gefesselte an, sich zu bewegen. Sie wollte ihren Körper zur Seite drücken, woran sie die Fesseln hinderten. Als sie sah, daß sie es nicht schaffte, versuchte Delphi es mit Worten.
»Du machst einen Fehler, einen gewaltigen Fehler!«
»Nein, den mache ich nicht. Ich muß mit meinem Gewissen fertig werden, Delphi!«
Jill hatte sich neben die Frau gestellt, auf einer etwas erhöht liegenden Stelle. So kam sie gut an die Fesseln heran, um sie lockern zu können. Aber Delphi gab nicht auf. »Du weißt nicht, was du tust. Das Licht wird mich ganz übernehmen. Es wird die Kraft der Menschen in sich aufsaugen und noch stärker werden. Es wird töten, glaube mir. Es wird keine Rücksicht mehr kennen, denn es hat endlich den Menschen als Verbündeten bekommen, der gegen die Menschen kämpft. Das ist der böse, der grausame Teil der Erde. Warum glaubst du mir denn nicht?« Ihre Worte waren nur mehr ein einziges Geschrei, aber Jill arbeitete verbissen weiter. Sie wollte nicht aufgeben, denn sie war überzeugt, sich auf dem richtigen Weg zu befinden, und sie bemerkte, daß sich die Knoten gelockert hatten.
Sie zerrte an den Stricken, sie hängte sich daran und hörte, wie der Ast mit einem trockenen Knacken abbrach.
Das war der erste Schritt.
Deshalb zerrte sie noch stärker.
Wieder knackte der Ast!
Delphi wehrte sich. Noch immer hing sie in den Fesseln und zuckte in die Höhe. Ihr Gesicht war eine einzige Fratze, die Haut schimmerte bleich wie Mehl.
Noch ein Ruck - der letzte!
Ein Knirschen, der harte, aber nicht sehr biegsame Ast brach ab. Obwohl sie damit gerechnet hatte, spürte Jill McCall den plötzlichen Ruck und auch die immense Kraft, die sie nach hinten zerrte. Es gelang ihr nicht mehr, sich auf den Beinen zu halten. Sie stolperte über ihre eigenen Füße und prallte auf den Rücken.
Der Ast schlug auf, die Fesseln fielen ab, und Delphi war frei.
Auch sie taumelte zur Seite. Jill lag noch auf dem Boden, sie bekam alles genau mit, und sie schaffte es auch nicht, sich in den folgenden Sekunden zu rühren, denn Delphi hielt die Arme ausgestreckt, bewegte sich schwankend und tanzend zugleich und hatte ihr Gesicht dem über dem Totenacker lauernden Licht zugedreht.
Es blähte sich auf. Es wirkte, als wollte es noch einmal Anlauf nehmen - und startete.
Es war unheimlich schnell, kaum zu verfolgen, hinterließ
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