0882 - Der Sonnen-Dämon
und nahm seinen Mantel vom Haken. Es war ein beigebrauner Trench.
Er streifte ihn über und ließ seine schmale Aktentasche stehen, als er fluchtartig aus dem Institut rannte.
***
Seine Angst nahm zu. Auch die über Paris liegende herbstliche Kühle hatte daran nichts ändern können. Sie war wie ein mörderischer Druck, der sich bei jedem seiner Schritte noch verstärkte.
Guy Laroche war zum Fluß gegangen. Er hatte einen der schmalen düsteren Wege benutzt und stand in der Nähe einer Laterne, wobei er schräg auf das Wasser schaute und auch nicht weit entfernt eine der zahlreichen Brücken sah, die den Fluß überspannten. Sie kam ihm vor wie eine sich bewegende helle Girlande, was an den zahlreichen Fahrzeugen lag, die mit eingeschalteten Scheinwerfern über die Brücke hinwegfuhren und darauf hinwiesen, daß eine Stadt wie Paris eigentlich nie zur Ruhe kam.
Laroche stöhnte auf. Sein Freund und Kollege war tot. Gestorben an einem plötzlichen Blutsturz.
War das normal? Nein, auch wenn es derartige Todesursachen gab, bei Francis Clayton wollte er es nicht akzeptieren. Da mußte es einen anderen Grund geben, und er wußte auch schon welchen.
Der Mann sah die zahlreichen Blätter nicht, die auf der Wasseroberfläche trieben. Er achtete nicht auf die Schiffe, die den Strom durchpflügten, und er hatte ebenfalls keinen Blick für das welke Laub, das sich von den Ästen löste und dem Erdboden entgegensegelte. Vor seinen Augen entstand klar und scharf ein Bild, das er nie vergessen hatte.
Ein Toter auf der Kühlerhaube. Eine durchschnittene Kehle. Das Wort Rache mit dem Blut des Toten auf die eigene Brust geschrieben. Das genau war der Grund. Die Rache einer Mumie, der sie das Kind hatten wegnehmen wollen. Nicht Rache für den Tod der fünf Helfer allein, davon hatten sie nichts mehr gehört, denn ihre Aktion war illegal gewesen, und die ägyptischen Behörden hatten sicherlich für perfekte Vertuschung gesorgt, weil man keinen Ärger haben wollte. Einzig und allein die lebende Mumie, der Sonnen-Dämon Sorath, hatte sein Versprechen eingelöst.
Ich wohne in Paris, dachte Laroche.
Dann lachte er bitter. Für ein Wesen wie Sorath war die Entfernung London - Paris ein Katzensprung, und Laroche wußte sehr genau, daß er als nächster auf der Liste des Sonnendämons stand.
Sie hatten sich damals beide zu weit vorgewagt. Dafür mußten sie nun zahlen.
Laroche fror. Nicht nur die Umgebung kam ihm kalt vor, selbst vom Fluß her stieg die Kälte in die Höhe wie aus einem offenen Grab und ließ den Mann schaudern.
Was soll ich tun?
Diese Frage beschäftigte ihn mehr und mehr. Immer wieder huschte sie durch seinen Kopf, und er war auf der verzweifelten Suche nach einer Lösung, aber sie fiel ihm nicht ein. Natürlich dachte er an Flucht, wobei er sich diesen Gedanken wieder abschminken konnte, denn der Rächer würde ihn überall erreichen.
Also in seine Wohnung sitzen und warten, bis er kam?
Das war auch keine Lösung. Es mußte noch einen anderen Weg für ihn geben.
Er strich durch sein Gesicht. Dabei fuhren die Hände vom Kinn her in die Höhe, und Laroche merkte sehr genau, daß die Wärme nahe der Stirn zugenommen hatte.
Als er dann mit den Fingerspitzen über den Augenbrauen hinwegstrich, da merkte er sehr deutlich die Stelle an der Stirn, wo das dritte Auge verborgen lag.
Sie war wesentlich wärmer als der übrige Teil. Dahinter pochte und brannte es. Das Auge hatte reagiert. Es war sehr sensibel, und Laroche mußte davon ausgehen, daß es die Gefahr auch spürte, die sich ihm immer mehr näherte.
War es der Tod?
Der Mann schluckte. Er wollte nicht, daß Tränen in seine Augen stiegen, konnte es aber kaum verhindern, schloß die Augen und spürte trotzdem das Brennen.
Dabei war er sich in den letzten Jahren so sicher gewesen, daß alles vorbeiging, doch dieses Gefühl hatte ihn verlassen. Seit heute stand er auf einem sehr dünnen Eis, das schnell brechen würde. Der Druck um seinen Magen und auch in der Kehle nahm zu. Die Kälte hatte noch immer einen Reif auf seinen Körper gelegt. Als sehr schlimm empfand er seine Unfähigkeit, gegen die eigene Angst anzukämpfen. Sie war es, die ihn behinderte und sein Denken beeinflußte. Er brachte die einfachsten Dinge nicht mehr in eine logische Reihenfolge. Er hätte am liebsten jemanden gehabt, der ihn an die Hand nahm und ihm zeigte, wo es langging. Das verborgene Auge empfand er nie so stark wie jetzt.
Schritte näherten sich ihm. Sie schleiften durch
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