0886 - Der U-Bahn-Schreck
kam.
Und sie enttäusche ihn nicht, denn plötzlich tauchte ihre schmale Gestalt für einen Moment am Eingang der Röhre auf, bevor sie wieder verschwand.
Frank N. Stone war zufrieden. Er ballte seine Hände zu Fäusten, seine Lippen zuckten, sie verzerrten sich zu einem Lächeln, und er nickte sich selbst zu.
Lucy war gut. Sie reagierte schon jetzt, als wäre sie sein persönliches Geschöpf.
Alles würde klappen.
Lucy kletterte auf die Schienen. Noch fiel von der Station her genügend Licht weit genug in die Röhre hinein, so daß der in der Nische stehende Beobachter die Frau deutlich erkennen konnte.
Lucy balancierte in seine Richtung. Sie hielt sich wunderbar. Sie rutschte nicht ab, und Frank N. Stone bereitete es einen regelrechten Spaß, sie dabei zu beobachten.
Er hatte sich genau die richtige Person ausgesucht und war schon jetzt zufrieden.
Lucy war seine Marionette. Sie tat alles, was er wollte. Sie hielt sie unter seiner Kontrolle. Sie würde es nicht wagen, auch nur einen Schritt von dem Weg abzugehen, den er ihr vorgezeichnet hatte. Lucy war ein Mensch, aber sie stand unter dem Druck dieses Frank N. Stone. Er hielt sie unter Kontrolle, er würde es auch weiterhin tun, wenn er aus Lucy eine andere gemacht hatte.
Er schaute auf die Uhr. Die Zahlen und die beiden Zeiger leuchteten. Die Zeiten kannte er genau. Er wußte, wann der Zug in die Station hinter dem Tunnel einfuhr. Selten hatte es da Verspätungen gegeben.
Lucy wußte ebenfalls Bescheid. Sie hatte nur genickt, und sie würde auch keine Angst haben. Nicht vor der Dunkelheit, nicht vor der U-Bahn, nicht vor dem Tod…
Denn der Tod bedeutete bei einem Mann wie Frank N. Stone noch längst nicht das Ende, das stand auch fest.
Er blickte nach rechts in die Tiefe der Röhre hinein und entdeckte die beiden hellen Punkte. Er hörte die Elektromotoren summen. Der Tunnel atmete plötzlich. Er stöhnte, er zischte, er war zu einem vibrierenden Ungeheuer geworden. Der Zug schob die Luft vor sich her. Ein hartes Rattern war zu vernehmen, das unheimlich klang. Der Boden erzitterte.
Auch ein Frank N. Stone spürte das Gefühl der Spannung. Es nahm ständig zu, er blickte zu seinem Schützling hin, dem es nichts ausmachte, daß er auf den Schienen stand.
Dann war es vorbei!
Frank N. Stone konnte nicht anders, er mußte lachen, als er sah, wie exakt sich Lucy Travers verhielt. Bevor der Zug sie erreichte, sah sie aus, als wollte sie sich vor ihm verbeugen, und dann war von ihr nichts mehr zu sehen.
Die Wagen rasten über sie hinweg.
Sie wurde getötet. Die Eisenräder zerschnitten ihren Körper.
Stone hielt nichts mehr in seinem Versteck. Er hielt die große Plastiktüte fest umklammert. Aus der anderen Hand schaute die Staubleuchte hervor, deren Lichtkegel über den Boden huschte, um ihm das zu zeigen, was er suchte.
Er hatte es schon gefunden, als der Zug weiter vor ihm anhielt und die Geräusche der kreischenden Rädern und gequälten Schienen noch in seinen Ohren gellten.
Er bückte sich.
Er lächelte, denn er hatte den Kopf der Frau gesehen und auch das Gesicht.
Augen, in denen die Starre des Todes lag, aber Lippen, die zu einem Lächeln verzogen waren.
Als hätte sich Lucy auf ihren Tod gefreut…
***
Die Kollegen hatten sich wirklich beeilt. Sie hatten auch einen Notarzt mitgebracht. Mochte der Teufel wissen, wo sie ihn so schnell aufgetrieben hatten.
Gordon Polvera hatte den Führerstand verlassen und hockte auf einer Bank in der Station. Er war bleich im Gesicht, er stand dicht davor, sich zu übergeben, und er hielt sich nur mit größter Mühe zurück.
Noch immer weigerte sich sein Gehirn zu fassen, was ihm widerfahren war. Er fuhr die Strecke lange genug. Nie war etwas passiert, nie war der Alptraum eines Triebwagenführers wahr geworden, daß plötzlich jemand auf den Schienen stand oder sich vor seinen Zug warf.
Polvera hatte sich in eine Decke eingewickelt. Dennoch fror er. Es lag auch an seiner inneren Kälte. Er kämpfte gegen die Erinnerung an den Schrecken an, aber es wollte ihm nicht gelingen, dies zu unterdrücken.
Er starrte ins Leere. Die Umgebung - eigentlich für ihn so vertraut - kam ihm vor wie eine kahle Totenlandschaft, in der kein Leben mehr zu finden war. Alles war vernichtet worden, ausradiert, getötet, weggezerrt aus der Wirklichkeit.
Es war eine Frau, dachte er. Eine noch so verdammt junge Frau. Er hatte sie ja noch gesehen. Die hellen Haare, der dunkle Mantel, der offenstand. Das alles war ihm in
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