0887 - Blutiger Nebel
ist.« Vinca ahnte, dass dies nur sein Wunschdenken sein konnte, denn mittlerweile schien der gesamte Kokon vom Niedergang betroffen zu sein. Immer wieder ging sein Blick nach oben - noch hielt der Kokon.
Van Zant blickte sich um. Sie hielten sich immer möglichst auf der Mitte der Straße, denn die Nähe eines Gebäudes zu suchen, schien einfach zu gefährlich. Sein Blick fiel auf einen hoch aufschießenden Bau, der nicht weit von ihnen entfernt lag. Im Gegensatz zu den meisten Gebäuden stand er frei, war nicht direkt zwischen zwei andere Häuser gezwängt.
Es war riskant, aber Lakir brauchte eine Pause - möglichst eine staubfreie, und dieser Bau schien noch unbeschädigt zu sein, also vielleicht auch frei vom Steinmehl. »Wir versuchen es dort. Wenigstens für einige Minuten sollte es gehen.«
Vinca und Artimus nahmen Lakir stützend zwischen sich. Am offenen Eingang des Gebäudes, das van Zant an ein Kaufhaus erinnerte, war die Staubkonzentration hoch, doch im Inneren dann verteilte sich der Staub, sank zu Boden. Lakir atmete zum ersten Mal wieder freier durch, und langsam bekam ihr Gesicht wieder eine halbwegs normale Färbung.
Vinca kümmerte sich um seine Frau, während Artimus sich das Gebäudeinnere genauer betrachtete. Risse waren noch nicht zu erkennen. Vielleicht waren sie hier für einen gewissen Zeitraum sicher. Er konnte es nur hoffen.
Draußen jedoch legte sich eine mächtige Stadt in Schutt und Asche. Die Beben wurden immer stärker. Artimus blickte auf seine linke Hand.
Noch immer fühlte er das Pulsieren des Splitters. Khiras Geschenk hatte ihm das Leben gerettet, doch warum war es nun nicht wieder so inaktiv wie die ganze lange Zeit davor? Im Gegenteil - van Zant hatte das Gefühl, der Puls des Splitters erhöhe sich von Minute zu Minute.
Im nächsten Augenblick schon sprang er zurück in das Gebäudeinnere, denn die Straße begann Wellen zu schlagen. Das bislang heftigste Beben machte für Sekunden eine Berg-und Talbahn aus dem Bodenbelag. Vorsichtig wagte der Südstaatler einen Blick nach draußen.
Weit hinten am Horizont konnte er den Kokon erkennen, der seinen immer wilder werdenden Tanz zelebrierte. Ein unglaublicher Anblick, der - würde er nicht von Tod und Verderben künden - eine ganz eigene Faszination in sich barg. Van Zant war klar, dass er hier einer Sache beiwohnte, die so sicher noch nie ein Mensch gesehen und erlebt hatte.
Ein Trost war das allerdings ganz sicher nicht…
»Es ist noch nicht so weit.« Artimus schrak herum. Er hatte nicht bemerkt, dass Vinca zu ihm getreten war. »Wir dürfen den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Wenn der Kokon kollabiert, dann wird die Hülle hier alles endgültig unter sich begraben. Ich bin bereit, aber auch du musst gewappnet sein, Bruder. Vielleicht kann ich im entscheidenden Moment nicht reagieren…«
Van Zant sah Vinca an. Rette du Lakir, wenn ich es nicht mehr schaffe - das hatte er eigentlich sagen wollen. Ohne Worte waren die beiden Krieger sich einig geworden. Ja, lebend dieser Hölle aus Stein und Staub zu entkommen, war nahezu undenkbar, doch es gab einen winzigen Hoffnungsschimmer: Den Speer - das Privileg der Krieger der weißen Städte, sich nahezu ohne Zeitverlust von einer Wurzelwelt zur anderen zu bewegen. Doch der Speer war durch den Kokon lahmgelegt. Erst wenn die riesige Hülle nicht mehr existierte, dann konnten sie von hier fliehen - hinein in das Band der Speere , den ewigen Fluss der Krieger. Von dort aus war es kein Problem die Erde zu erreichen.
Ein winziger Moment… der kleine Zeitraum zwischen zwei Herzschlägen… mehr Zeit würde für die Flucht nicht bleiben, ehe sie der Kokon erschlug. Vinca und Artimus wussten das. Sie kannten und fürchteten diesen Augenblick zugleich. So viel konnte geschehen, dass sie daran hindern mochte, ihre letzte Chance beim Schopf zu fassen.
Vinca war der erfahrene Krieger, Führer im Band der Speere . Er war zweifelsfrei derjenige, der die Aktion ausführen musste. Artimus war unerfahren mit dem Speer.
Plötzlich machte Vinca von Parom einen Schritt nach hinten, fort von van Zant. »Deine Hand. Sieh nur.«
Artimus hatte es bereits registriert. Der Splitter leuchtete durch die Hand des Physikers hindurch hell auf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? War es ein Signal für das bevorstehende Ende des Kokons? Eine Art Startschuss? Oder der überdeutliche Hinweis auf eine andere, noch nähere Gefahr?
Die Antwort gab Lakir. Die Wächterin stieß einen hellen Schrei aus,
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