0887 - Blutiger Nebel
Die Blicke der drei Gefangenen trafen sich.
Ihre einzige Chance auf Rettung, mochte sie auch noch so winzig gewesen sein, sie schwand nun nahezu auf Null…
***
Sabeths Zähne schlugen in einen Haufen Mullbinden.
Die Vampirin schrie überrascht und verärgert auf, denn ihr sicher geglaubtes Opfer hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst. Doch das war ein Irrtum - es war durchaus noch da, nur hatte es sich mit einer blitzschnellen Bewegung in Sicherheit gebracht.
Professor Zamorra stand aufrecht neben dem Bett. In seiner rechten Hand vibrierte Merlins Stern. Das Amulett brannte darauf, seine Magie gegen die Stele und die Vampirin einzusetzen. Noch hielt Zamorra es zurück.
»Sabeth - ich bin Professor Zamorra. Du kennst mich. Komm zu mir. Verlasse diesen Zwischenraum, in dem du jetzt steckst. Das ist sicher deine letzte Chance, aus der Gefangenschaft der weißen Stadt zu entfliehen. Zögere nicht!«
Sabeth hörte die Worte. Professor Zamorra? Ja, sie erinnerte sich an den Menschen… doch das war alles so weit weg, so lange vergangen. Was wollte er von ihr? Wohin sollte sie kommen? Sabeth spürte die Magie, mit der sie vom Ductor in der Stele gehalten wurde - eine starke Magie, der sie nichts entgegensetzen konnte. Wollte sie das denn überhaupt? Sie war die Wächterin, ja, doch sie war auch eine Gefangene, die daran gehindert wurde, ihren Bluttrieb auszuleben. Wider ihrer Natur labte sie sich an wehrlosen, an kranken und sterbenden Opfern. Wider ihre Natur wurde ihr die Blutmenge begrenzt, die sie aufnehmen durfte.
Eine andere Welt?
Die alte Welt, aus der sie stammte?
Sabeth stöhnte auf. Konnte sie diesem Zamorra denn vertrauen? Sie wusste es nicht, aber sie wusste, dass sie so wie jetzt nicht mehr ihr Dasein fristen wollte. Durch die Asanbosam ging ein Ruck, und plötzlich ragte ihre Gestalt bis zu den Schultern aus der Stele. Ja… sie wollte es versuchen…
Die Vampirin schrie schrill auf, als sie spürte, wie die Magie des Ductors an ihr zerrte. Er würde sie nicht frei geben, niemals. Ihre Stimme überschlug sich.
»Zamorra, hilf mir. Ich schaffe es nicht alleine.«
Genau in dieser Sekunde geschah etwas, dass Zamorra so nicht erwartet hätte. Merlins Stern verselbstständigte sich! Die Silberscheibe flog aus Zamorras Hand, direkt auf die Stele zu, die sich bereits wieder langsam in Richtung Decke bewegte. Einen Herzschlag lang fürchtete der Professor, das Amulett würde Sabeth angreifen, doch genau das tat es nicht.
Mit einem dumpfen Einschlag saugte sich Merlins Stern exakt auf die Prägung… setzte sich auf seine Kopie. Zamorra reagierte - mit einem Schritt war er heran, fasste Sabeths Schultern und zog. Er wusste nicht genau, was Merlins Stern da initiiert hatte, doch ihm war klar, dass jetzt alles schnell gehen musste. Zudem hatte er eine Ahnung, was das Amulett eventuell beabsichtigte. Es würde seine Kopie auslöschen… sie zu sich zurückholen. Wenn das gelang, dann musste zwangsläufig die Verbindung der Stele zur Erde erlöschen.
Zamorra hängte sich mit seinem gesamten Gewicht an die Vampirin. Der Erfolg war verblüffend. Es schien, als würde die Magie, die Sabeth hielt, bereits schwächer werden. Merlins Stern arbeitete schnell und effektiv.
Es war beinahe wie bei einer Geburt - und Zamorra spielte den Geburtshelfer. Immer weiter, Stück für Stück, rutschte Sabeth aus dem Steingebilde. Dann ein letzter Ruck, und die frühere stolze Königin der Asanbosam landete auf dem Krankenbett wie ein Neugeborenes in den Armen der Hebamme.
Zamorra stellte sich schützend vor die Vampirfrau, denn er glaubte nicht, dass damit alles schon vorbei war. Noch hatte Merlins Stern die Prägung nicht vollständig in sich aufgenommen, noch bestand die Verbindung zum Kokon der weißen Stadt.
Und Zamorras schlimmste Befürchtungen bewahrheiteten sich im nächsten Moment.
Zamorra war schnell, doch nicht schnell genug, den muskelbepackten Armen zu entgehen, die wie mächtige Tentakel aus der Stele schossen.
***
Pierre Robin stand wie gelähmt da, unfähig, sich überhaupt zu rühren, erst recht unfähig, helfend einzugreifen.
Was er sah, war unglaublich. Nicht einmal der rote Nebel konnte verhindern, dass er Zeuge einer außergewöhnlichen Geburt wurde - wenn man diesen Begriff denn strapazieren wollte. Als die Vampirfrau ihren Weg in diese Welt endgültig gefunden hatte, hoffte auch Robin, dass die Sache damit ausgestanden sein würde; wenn er auch nicht verstand, was Merlins Stern mit diesem
Weitere Kostenlose Bücher