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0889 - Eishauch des Todes

0889 - Eishauch des Todes

Titel: 0889 - Eishauch des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Montillon
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Puppe den Grad der äußerlich perfekten Menschlichkeit erreicht hatte, nie wieder töten würde.
    »Zumindest tausend Jahre lang nicht«, wiederholte Zamorra leise und nachdenklich die Worte des Dürren. Und ganz egal, wie weit diese Zeit in der Zukunft lag - es musste geklärt werden, wie das alles zusammenhing und was es bedeutete. Ein für alle Mal!
    Er zog wahllos eine Schublade auf und atmete zufrieden auf. Eine Kerze… nicht genau das, was er gesucht hatte, aber sie würde den Zweck ebenso erfüllen.
    Mit einer Kreide wäre es einfacher gewesen, doch gerade das aktuelle Geschehen zeigte wieder einmal, dass man nicht immer den einfachen Weg gehen konnte. Neben der Kerze lag ein Päckchen Streichhölzer. Auch das griff sich Zamorra und eilte dann zurück in den großen Raum.
    Er zündete die Kerze an. Der Docht fing nur mühsam Feuer, doch dann brannte er hervorragend.
    Als sich das Wachs am oberen Rand verflüssigte, ging Zamorra mit der Kerze in der Hand zu den beiden Puppenteilen, die inzwischen an den Bruchstellen genau wie das aussahen, was sie eigentlich waren - Holz.
    Er ließ einen Tropfen Wachs auf die Puppenteile fallen, dann zog er langsam, Zentimeter für Zentimeter, eine dünne Spur aus Wachs kreisförmig um die Teile.
    Als er den Kreis schloss, träufelte er mehr Wachs auf die Nahtstelle und drückte die Kerze hinein. Er ließ sie weiterhin brennen.
    Zamorra wollte einen Suchzauber anwenden und ihn mit der Zeitschau kombinieren - etwas, das er noch nie versucht hatte. Aber es musste funktionieren. Es musste einfach.
    Zamorra hatte dem Schnitzer lange genug gegenübergestanden, um dessen wahrhaft einzigartige magische Aura zu spüren… und sich auch jetzt noch daran zu erinnern. In seinem Geist besaß er eine genau Vorstellung davon.
    Die Puppenkörper sollten als Bindeglied zu dieser Aura dienen, die sich hoffentlich in relativer räumlicher Nähe befand - noch in dieser Stadt. Die Worte des Schnitzers ließen darauf schließen, denn alles sah danach aus, als hätte er sich zu seinem letzten verbliebenen Kind versetzt, zu seiner Tochter… und diese hielt sich ebenfalls in Lyon auf, wie die zweite Mordserie bewies.
    Der wächserne Kreis wiederum diente als Schild, die zahllosen anderen Auren in dieser Stadt von Zamorras Bewusstsein fernzuhalten. Er schaute in die leicht flackernde Kerzenflamme, atmete tief und ruhig und versetzte sich in die Halbtrance, die nötig war, die Zeitschau des Amuletts zu aktivieren.
    Er sah in seinem Geist das Bild vor sich, das sich im direkten Umfeld der Silberscheibe befand - jetzt, in diesem Moment: Er sah sich selbst, wie er vor den beiden Puppenteilen kniete.
    Aber das war es nicht, was er sehen wollte.
    »Nicht in der Zeit zurück«, sagte er und bündelte damit seine Gedanken auf dieses Ziel. »Nicht in der Zeit, sondern in dem Raum… weg von hier… hin zu dieser Präsenz… zu dieser Aura…« Er stellte sich den Schnitzer vor und sein magisches Ich, seine ganz individuelle Aura, jenes eigenartig-fremde Charisma, das nur er verströmte.
    Das Bild in seinem Geist und im Zentrum des Amuletts explodierte.
    Funkenregen trieb davon, blau und rot und gelb und giftig grün. Lichtkaskaden wirbelten, trudelten um sich selbst, vereinten sich zu einem geordneten Chaos, das um sich selbst drehte wie eine Galaxie. Ein Nebel, wirr und aus reiner Magie.
    Dann trieben die Schleier dieses Nebels davon, und Zamorra sah die Erdkugel, als schwebe er im All und rase auf sie zu.
    Kontinente bildeten sich aus und verschwammen im Horizont, als er einer Landmasse entgegenjagte, einem Land… er erkannte es als Frankreich, dann war er näher, näher - Lyon… und irgendwo leuchtete wie ein Fanal diejenige Aura, die er suchte.
    Stimmen, Milliarden und Abermillionen Stimmen prasselten auf sein Bewusstsein ein, doch er schickte sie weg, hinter die Kreidelinie, all die Menschen und auch einige Dämonen der Finsternis, die verborgen in der Stadt lebten und auf ihre Zeit lauerten. Wenn es soweit war, würde er sich auch mit ihnen beschäftigen müssen, aber nicht heute. Nicht jetzt. Nun zählte nur der eine.
    Er sah ein Haus, sah einen Straßenzug, einen Park in unmittelbarer Nähe und wusste , ohne je dort gewesen zu sein, wo er dieses Haus finden würde.
    Dann erlosch das Bild.
    Im selben Moment wehte ein kühler Wind durch den Raum und die Kerzenflamme erlosch wie Zamorras Wahrnehmung. Das Ritual hatte nach all der Anstrengung zu viel Kraft gefordert.
    Der Meister des Übersinnlichen

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