0890 - Die Vergessenen
Dieser heiße Glühwein - na ja, es ist eben nicht mehr zu ändern.«
Ich holte mir einen Stuhl herbei und nahm Platz. Der Wohnraum war rustikal eingerichtet. Dunkelbraune Stollenmöbel, und die Sitzgarnitur war ebenfalls mit einem dunklen Stoff überzogen worden. An den Wänden hingen Bilder, die landschaftliche Motive zeigten, und in der Ecke stand eine alte Uhr.
»Hast du Ricky gefunden?«
»Nein, Mutter.«
»Er ist doch sonst nie weggelaufen.«
Janet hob die Schultern.
»Gab es denn einen Grund?« wandte ich mich an die Tochter. »Ich meine, wenn Ricky doch…«
Sie verzog den Mund. »Ja, für ihn muß es einen Grund gegeben haben. Er wollte weg. Er rannte immer zur Tür, sprang daran hoch, fing an zu bellen, wollte hinaus, war nicht mehr zu halten, und da habe ich die Tür geöffnet. Ich habe damit gerechnet, daß ein Fremder um das Haus herumschleicht, aber ob es stimmt, weiß ich nicht. Oder waren Sie diese fremde Person, Mr. Sinclair?«
»In diesem Fall nicht«, erwiderte ich.
Janet hob die Schultern. »Dann weiß ich auch nicht, was los war.«
»Er ist tot!« flüsterte Eve. »Bitte.«
»Er ist tot.«
»Mutter, wie kannst du das sagen?« Janet trat von der Couch weg, auf der Eve lag.
»Ich spüre es.«
»Nein, du…«
»Doch«, flüsterte die Frau, »er lebt nicht mehr. Ich weiß es. Nichts ist Zufall im Leben. Dieser Angriff heute auf dem Weihnachtsmarkt, keiner kann ihn sich erklären, aber er hat unmittelbar mit Rickys Verschwinden zu tun. Etwas kommt auf Madston zu, ich spüre es. Aber ich weiß nicht, wie ich es stoppen kann oder wer es aufhalten kann.« Sie richtete ihren Blick gegen mich. »Ich habe vorhin gehört, daß Sie von der Polizei sind. Plötzlich glaube ich nicht, daß Sie sich nur zufällig in diese Gegend verirrt haben. Sie sind bestimmt nicht grundlos bei uns erschienen oder?«
Ich gab ihr durch mein Nicken recht, was ihr nicht gefiel. »Wollen Sie nicht reden?«
»Es ist nicht ganz einfach.«
»Wieso nicht?«
»Aber Sie haben recht, was den Hund angeht.« Vielleicht half es auch, sie davon zu überzeugen, daß es besser für sie war, wenn sie das Haus verließen.
»Er ist tot«, keuchte Janet.
»Ja.«
»Nein!« Sie schrie auf, wollte weglaufen, aber ich hielt sie fest.
»Nicht, Janet, Sie bleiben hier.«
Sie funkelte mich an. Plötzlich aber schössen Tränen in ihre Augen, und sie sackte in meinem Griff zusammen. Ich sorgte dafür, daß sie sich in einem Sessel niederließ, von dem sie auch nicht aufstand, sondern den Kopf senkte, das Gesicht in den Händen vergrub und anfing zu weinen.
»Janet hat sehr an Ricky gehangen«, flüsterte Eve. »Das müssen Sie verstehen.«
»Natürlich.«
»Aber ich kann reden.«
Die Frau war zu bewundern. Trotz ihrer Verletzung gab sie nicht auf, und sie forderte mich förmlich heraus. Deshalb sagte ich: »Sie wissen, daß es nicht nur allein um ihren toten Hund geht, auch um andere Dinge.«
»Denken Sie an das Aufbrechen der Erde?«
»Richtig.«
»Und weiter?«
»An drei verschwundene Männer, zu denen auch jemand gehört, der Donald Todd heißt oder hieß.«
Eve starrte in mein Gesicht. Ihre Lippen zuckten, aber sie redete erst Augenblicke später. »Wer sind Sie, Mr. Sinclair?«
»Ein Polizist.«
Sie lachte sehr leise, während ihre Tochter noch immer um Ricky weinte.
»Die Polizei hat versagt. Sie haben lange genug gesucht oder nur so getan. Es wurde vieles vertuscht.«
»Das hörte ich von Ferry Grey.«
»Der gute Ferry«, murmelte sie. »Er war einer derjenigen, die es nicht glauben wollten. Zu mir hat er einmal gesagt, daß er den Fall nicht als abgeschlossen betrachtet.« Sie mußte Luft holen, um weitersprechen zu können.
»Und es ist auch so gekommen, denke ich. Jetzt kümmern Sie sich darum.«
»Leider weiß ich zu wenig. Ich habe gehofft, von Ihnen, Mrs. Todd, mehr zu erfahren.«
»Aber ich weiß auch nicht viel, es sind nur Vermutungen.« Sie zupfte an dem Verband und leckte über ihre Lippen. Dabei verzog sie das Gesicht, weil die Salbe bestimmt nicht schmeckte.
»Und was vermuten Sie?«
»Daß mein Mann nicht tot ist.«
Der Verband und die Schmerzen verfremdeten ihre Stimme stark.
»Sondern?« Ich fragte sehr ruhig nach.
»Daß er noch existiert, wobei ich nicht sage, daß er lebt. Er existiert auf irgendeine Art und Weise. Er hat Unrecht begangen. Er hat sich mit einer Bande eingelassen, die, als es zu gefährlich wurde, ihn und seine beiden Kollegen umbrachte. Sie werden die drei Toten in den
Weitere Kostenlose Bücher