0893 - Der Rachegeist
Pflaster und Verband zurückgekehrt war. Sie stellte den kleinen Kasten auf den Tisch, den Deckel hatte sie bereits hochgeschoben, wühlte darin herum und fand ein Stück Pflaster, das lang genug war.
Zuvor reinigte sie die Haut um die Wunde herum mit einem weichen, faserfreien kleinen Tuch, dann klebte sie das Pflaster fest, und Suko bedankte sich mit einem Lächeln bei Shao, bevor er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und froh war, wieder bequem sitzen zu können.
Das Maul war verschwunden und damit auch das Bewußtsein. Aber woher war es gekommen? Diese Frage beschäftigte mich mehr, als ich zugeben wollte. Es mußte da etwas geben, das wir noch nicht kannten. Dieser Mund hatte ausgesehen wie der eines Menschen, und mir schossen die verrücktesten Gedanken durch den Kopf, die sich dabei um das Stehlen eines menschlichen Mundes drehten.
So abwegig waren sie nicht, wenn ich mir vorstellte, was dieses Bewußtsein alles konnte. Es suchte sich einen Gegenstand aus, um ihn zu übernehmen. In diesem Fall den Mund eines Menschen, der in einem Gesicht fehlen mußte.
Mir wurde heiß und kalt zugleich, als ich daran dachte. In meiner Vorstellung sah ich einen Menschen, der ohne Mund existierte, schreiend, verletzt und blutend.
Was war der Sinn der Sache?
Ich kam damit nicht zurecht. Überhaupt hatte ich den Eindruck, daß uns dieses Bewußtsein des längst verstorbenen Dorian Durand immer einen Schritt voraus war.
Zweimal hatte er angegriffen; zweimal hatte er einen Fehlschlag erlitten. Seinen Haß würde der Geist sicherlich zügeln oder in andere Bahnen lenken und es beim dritten Angriff raffinierter anstellen. Diese Sorge beschäftigte mich, und während ich in die Gesichter meiner Freunde schaute, konnte ich mir vorstellen, daß sich ihre Gedanken um dasselbe Thema drehten.
Keiner wollte so recht darüber reden, und so fragte ich Suko, wie er die Veränderung erlebt hatte.
Er überlegte einen Moment und schaute dabei auf seinen Arm mit dem Pflaster. »Das ist schwer, sehr schwer sogar. Ich war ja plötzlich von der Rolle. Dieser Angriff, mit dem ich zwar gerechnet hatte, erfolgte blitzschnell. Da hatte es mich auf einmal gepackt. Auf einmal war ich nicht mehr derselbe. Ich kam mir vor wie jemand, der zwar noch vorhanden war, aber nicht mehr lebt.«
Ich nickte.
Dann fragte Shao ihn. »Hast du sonst nichts bemerkt?«
»Ich?«
»Na ja«, gab sie zu, »es war jemand da, der gesprochen hat.«
»Aus meinem Mund?«
»Du hast ihn bewegt!«
Suko blickte mich an, als wollte er eine Bestätigung dieser Worte bekommen. »Shao hat nicht ganz recht. Als die Worte fielen, da bewegten sich Münder. Dein richtiger und auch der auf dem Arm. Wir glauben aber, daß die Worte aus dem anderen gedrungen sind.«
»Was habe ich denn gesagt?« Die Worte hatten gepreßt geklungen, als fürchtete sich Suko vor der Antwort.
Ich mußte es ihm sagen und hielt mit der Wahrheit auch nicht zurück. Er erbleichte. »Fressen, John? Habe ich wirklich davon gesprochen?«
»Ja.«
»Das kann ich nicht begreifen. Ich würde mich doch niemals selbst dazu hinreißen lassen und…«
Ich schüttelte den Kopf. »Das bist du auch nicht gewesen, Suko. Das war ES!«
»Das Bewußtsein also.«
»Klar.«
»Und ich bin wehrlos.«
»Wie auch wir, außer John«, fügte Lady Sarah hinzu. »Es sieht noch immer nicht gut für uns aus. Das Bewußtsein ist nach wie vor vorhanden und nicht zerstört worden.« Sie senkte den Kopf und zeichnete mit dem Finger einen Kreis auf die Tischdecke. »Wobei ich mich mittlerweile frage, ob wir es überhaupt in den Griff bekommen oder einfach einfangen können. Ich habe da so meine Zweifel.« Sie hob wieder den Kopf an und starrte mir ins Gesicht. »Oder, John?«
Meine Antwort bestand aus einem Anheben der Schultern. Es war ehrlich gemeint, denn auch ich wußte nicht, wie es weitergehen sollte. Da war guter Rat wirklich teuer.
»Also müssen wir warten«, sagte Glenda. »Darauf warten, daß uns das Bewußtsein wieder attakkiert. Aber wen erwischt es als nächsten. Sarah Shao oder Jane?«
Die Detektivin fühlte sich natürlich angesprochen. »Ich habe es gespürt, Glenda.«
»Wo denn?«
»Als ich im Bad war, da merkte ich, daß es sich in meiner Nähe befand. Man schickte mir gewissermaßen eine innere Warnung zu. Ich weiß, es klingt nicht eben logisch, aber es sind meine latent vorhandenen Hexenkräfte gewesen, denen es gelang, mich aufzuspüren. Vielleicht habe ich das Bewußtsein auch aufgespürt. Ich habe,
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