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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Der Junge hatte von einem Tag geträumt, an dem die Barden von seinen Taten sangen und ihm schöne Mädchen Küsse schenkten. Wenn ich groß bin, werde ich König-jenseits-der-Mauer, hatte sich Kugel geschworen. Das war ihm nicht gelungen, aber viel hatte nicht gefehlt. Varamyr Sechsleib war ein Name, den die Menschen fürchteten. Er ritt auf dem Rücken einer Schneebärin von vier Metern Höhe in die Schlacht, hatte sich drei Wölfe und eine Schattenkatze unterworfen und saß zur Rechten Mance Rayders. Wegen Mance liege ich jetzt hier. Ich hätte nicht auf ihn hören sollen. Ich hätte in meine Bärin schlüpfen und ihn in Stücke reißen sollen.
    Vor Mance war Varamyr Sechsleib eine Art Herrscher gewesen. Er hatte allein unter seinen Tieren in einer Halle aus Moos und Schlamm und behauenen Baumstämmen gelebt, die zuvor Haggon gehört hatte. Ein Dutzend Dörfer huldigten ihm und gaben ihm Brot und Salz und Apfelwein oder brachten ihm Obst aus ihren Hainen und Gemüse aus den Gärten dar. Sein Fleisch verschaffte er sich selbst. Wann immer er eine Frau begehrte, schickte er seine Schattenkatze aus, um sich an sie heranzuschleichen, und auf welches Mädchen er auch den Blick warf, es folgte ihm widerstandslos in sein Bett. Manche weinten wohl, aber sie kamen dennoch. Varamyr schenkte ihnen seinen Samen, nahm eine Strähne von ihrem Haar, um ein Andenken an sie zu haben, und schickte sie zurück. Von Zeit zu Zeit tauchte ein tapferer Dorfheld mit dem Speer in der Hand bei ihm auf, um den Tierling zu erschlagen und seine Schwester oder Geliebte oder Tochter zu retten. Diese Kerle tötete er, doch den Frauen krümmte er kein Haar. Manche segnete er sogar mit Kindern. Kümmerlinge. Kleine, schwächliche Wesen wie Kugel, und keines hat die Gabe geerbt.
    Die Furcht trieb ihn schwankend auf die Beine. Varamyr hielt sich die Seite, um den Blutfluss aus seiner Wunde aufzuhalten, schleppte sich zur Tür und zog das alte Fell zur Seite. Dahinter erhob sich eine weiße Wand. Schnee. Kein Wunder, dass es drinnen so dunkel und rauchig gewesen war. Der Schnee hatte die Hütte unter sich begraben.
    Als Varamyr dagegendrückte, zerbröckelte der weiche, nasse Schnee und gab den Blick frei. Draußen war die Nacht so weiß wie der Tod; bleiche, dünne Wolken warteten tanzend dem silbernen Mond auf, während tausend Sterne kalt zuschauten. Er sah die buckligen Formen anderer Hütten, die unter Schneewehen verschwunden waren, und dahinter den bleichen Schatten eines Wehrholzbaumes, der mit Eis gepanzert war. Im Süden und Westen bildeten die Hügel eine weite weiße Wildnis, wo sich außer dem Schneegestöber nichts bewegte. »Distel«, rief Varamyr schwach und fragte sich, wie weit sie gegangen sein konnte. » Distel. Weib. Wo bist du?«
    In der Ferne heulte ein Wolf.
    Ein Schauer durchlief Varamyr. Dieses Heulen war ihm so vertraut, wie Kugel einst die Stimme seiner Mutter vertraut gewesen war. Einauge. Er war der älteste der drei, der größte, der wildeste. Pirscher war schlanker, schneller, jünger, Listig dagegen war verschlagener, aber beide hatten Angst vor Einauge. Der alte Wolf war furchtlos, gnadenlos und brutal.
    Varamyr hatte in der Pein, die der Tod des Adlers ausgelöst hatte, die Gewalt über seine anderen Tiere verloren. Seine Schattenkatze war in den Wald gerannt, seine Schneebärin hatte sich gegen die Menschen in ihrer Umgebung gewandt und vier Männer in Stücke gerissen, ehe ein Speer sie gefällt hatte. Sie hätte auch Varamyr getötet, wenn er in ihre Nähe gekommen wäre. Die Bärin hatte ihn gehasst und jedes Mal getobt, wenn er in ihren Leib geschlüpft oder auf ihren Rücken geklettert war.
    Seine Wölfe hingegen …
    Meine Brüder. Mein Rudel. In vielen kalten Nächten hatte er bei seinen Wölfen geschlafen, hatte sich, umgeben von ihren zotteligen Leibern warm gehalten. Wenn ich sterbe, werden sie sich an meinem Fleisch gütlich tun und nur Knochen übriglassen, die dann im Frühling die Schneeschmelze begrüßen. Der Gedanke hatte etwas eigenartig Tröstliches an sich. Seine Wölfe hatten ihn auf ihren Streifzügen oft mitversorgt, daher erschien es ihm nur angemessen, wenn er ihnen am Ende als Nahrung diente. Vielleicht würde er sein zweites Leben damit beginnen, dass er das warme tote Fleisch von seiner eigenen Leiche riss.
    Hunde waren die Tiere, die man am leichtesten an sich binden konnte; sie lebten so eng mit Menschen zusammen, sie hatten fast schon menschliche Züge. In den Leib eines Hundes zu

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