09-Die Pfade des Schicksals
erfahren, dass jetzt die letzte Krise der Erde bevorsteht, aber solche Behauptungen verblassen gegenüber den Wundern und Schrecken dessen, was du bewirkt hast.
Ich spüre, dass dich andere Notwendigkeiten unter Zugzwang setzen, und ich habe die Absicht, sie zu respektieren, wie ich sie von Anfang an respektiert habe - und wie ich es bis zuletzt tun werde. Eines muss ich dich jedoch fragen.
Mir ist bewusst, dass du das Geschehene besser begreifst als jeder Steinhausener oder Ramen. In einer Form übersteigt dein Verständnis sogar das der Meister, deren Erinnerung Jahrtausende umfasst. In einer anderen ist es dem reichen Wissen dieser Riesinnen überlegen, obwohl sie weite Reisen gemacht und Gefahren bestanden haben, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Dennoch frage ich dich: War es nicht unmöglich für dich, das Ergebnis deines Tuns vorauszusehen? Teilst du dir nicht mit all deinen Gefährten - Meistern und Riesen und Ramen gleichermaßen - die Unfähigkeit, in die Zukunft zu schauen? Und macht dich diese uns allen fehlende Gabe, dieser Mangel an Weitblick nicht eigentlich schuldlos?
Als wir auf den Felsen im Salva Gildenbourne von den Skurj angegriffen wurden, habe ich unser aller Leben aufs Spiel gesetzt. Ich habe den Orkrest und den Stab des Gesetzes genutzt, um Regen zu machen - ein Versuch, der alles überstiegen hat, was ich an Wissen und Geschicklichkeit und Kraft besaß. Dass wir aus Kastenessens Falle entkommen sind, macht meinem Weitblick keine Ehre. Ich war nur töricht, töricht und verzweifelt. Dennoch hat meine Narretei sich in Hoffnung verwandelt; aber nicht durch eigenes Zutun, sondern mit Hilfe der Dämondim-Brut und durch deine weitaus größere Macht.
Linden, meine Freundin …« Liand stockte kurz, als ihn Mitgefühl übermannte, dann gewann er seine gewohnte Würde zurück. »Lässt sich das Gleiche nicht auch von dir sagen? Kann irgendein Wesen, irgendeine Macht mit Sicherheit behaupten, dass deine Narretei sich nicht mit Hilfe einer Lehre oder Theurgie …« Dabei sah er kurz zu Covenant hinüber. »… die wir nicht vorhersehen können, in Hoffnung verwandeln kann?«
Linden schüttelte den Kopf. Sie hörte seine Aufrichtigkeit, spürte sie in den Händen, die ihre Schultern umfassten. Trotzdem wies sie sie zurück. Sie hatte allzu viele Warnungen missachtet. Die Visionen beim Rösserritual der Ranyhyn mochten schwierig zu interpretieren gewesen sein; auf die Bilder, mit denen Lord Foul sie während ihres Übertritts in das Land gepeinigt hatte, traf das nicht zu.
»Dieses Mal nicht«, antwortete sie schroff. »Ich hätte es wissen können. Ich wollte mich nur von nichts aufhalten lassen.«
Unter dem Melenkurion Himmelswehr hatte sie erlebt, dass sie ohne Covenant nichts war. Ihr Bedürfnis, Jeremiah zu befreien, erforderte mehr von ihr, als sie in sich hatte.
Und sie verzieh nichts.
Ihre Reaktion kränkte Liand. Vielleicht schmerzte sie die Ramen und die Schwertmainnir - oder rechtfertigte die Gedemütigten. Aber Covenant lenkte sie ab, noch ehe irgendjemand protestieren konnte.
Unsicher löste er sich von Mahrtür, kam schwankend auf die Beine und betrachtete stirnrunzelnd die um ihn Versammelten. Als er Linden ansah, merkte sie, dass sein Blick nicht wirklich ihr galt. Stattdessen schien er an ihrer Stelle jemand anders zu sehen: vielleicht eine andere Version ihres Ichs oder eine völlig andere Frau.
»Stellt euch den Schöpfer und den Verächter als Brüder vor«, sagte er in geistesabwesendem Tonfall. »Oder als Doppelgänger. Aber das stimmt nicht wirklich. Die Begriffe sind zu groß, um mit Worten ausgedrückt zu werden. Aber auf diese Weise kann man wenigstens versuchen, sie zu verstehen. Sie sind so wahr wie die Aussage, die Sterne seien die Kinder des Schöpfers. Oder dass der Bogen der Zeit einem Regenbogen gleicht. Man könnte sagen, Schöpfung und Verachtung seien identisch, aber sie sind zugleich so unterschiedlich, dass sie gar nichts gemeinsam zu haben scheinen. Alles ist ein Paradoxon. So muss es sein.«
In einem logischeren Geisteszustand hätte er vielleicht gesagt: Im Widerspruch liegt Hoffnung.
»Covenant?«, fragte Linden, als wäre sein Name ihr gegen ihren Willen entrissen worden. Wie ein Echo auf ihre Worte sprang der Mähnenhüter auf: »Ring-Than?«
Covenant reagierte nicht darauf. Vielleicht hatte er sie nicht gehört. Stattdessen wandte er sich an Liand.
»Dein Orkrest- Vergleich gefällt mir.« Er sprach, als setzte er eine ungezwungene
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