Schlechte Gesellschaft
Abspann (Gegenwart)
Die Titelmelodie setzt ein. Hans Ullrich Kittel lässt sich in seinem Klappstuhl zurückfallen. Als die letzten Zeilen des Abspanns über einer Luftaufnahme des Westerwaldes eingeblendet werden, drückt er auf die rote Taste der Fernbedienung. Der Bildschirm schaltet sich aus. Mit beiden Händen fährt sich der Professor über den Kopf und betrachtet lange ein paar zwischen den Fingern hängengebliebene Haare.
»Ein Teufelskerl, dieser Freddy«, sagt er in die Stille hinein. »âºDu siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden. Was itzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Beinâ¹. Gryphius. Recht hat er.«
Auf der Anzeige des DVD-Spielers läuft das Zählwerk weiter. Längst ist es dunkel. Im leergeräumten Erdgeschoss des Bungalows hört man von weitem das Ticken der Küchenuhr. Auf dem dumpfen Schwarz der doppeltverglasten Terrassenfront spiegeln sich die von der Decke herabhängende Glühbirne, der Fernseher, der Stuhl und Kittel selbst.
»Das warâs dann wohl mit Villa Westerwald «, sagt der Professor.
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Eine gefallene Frau (September 1933)
Seit Wochen jagte der Ostwind über die Buchenstände des unteren Westerwalds. Beständiger Nieselregen verwandelte die Wege in zähen Schlamm, wie er sonst erst im November die Gegend rund umSehlscheid bedeckte. Vor zwei Tagen schlieÃlich war der Regen stärker geworden und prasselte seitdem ohne Unterbrechung auf das Dorf nieder.
Ein Eichenast klatschte auf den nassen Grund und Schnapp sprang jaulend zur Seite. Mit einem zweiten Satz rettete der alte Hund sich wieder unter das Vordach. Aus den Löchern einer Zinkwanne am Eingang schoss Wasser gegen den Lehm der Hauswand. Moosballen lösten sich vom First und rutschten nach und nach tiefer, bis sie in die Pfützen entlang der Mauer fielen. Von dort schwemmte der Regen sie zwischen den Haselsträuchern hindurch abwärts.
Die Silberpappeln am Melsbacher Hohlweg, deren Rauschen die Bewohner von Sehlscheid an ruhigeren Tagen wie eine dichte Glocke umgab, schlugen in heftigem Tosen ihre Zweige gegeneinander. Das Kirchengeläut war nur dumpf zu hören. Aber die wenigen Einwohner des Ortes wussten ohnehin Bescheid. Die Alte war vor zwei Tagen gestorben.
Immer langsamer hatte sie ihre täglichen Wege hinter sich gebracht. Der Hund war ihr dicht auf den Fersen gefolgt, den knarrenden Lederpantoffeln und vielfach gestopften Wollstrümpfen. »Wirst auch enden wie dein seliger Vater«, schimpfte sie, wenn sie ihren Enkel von Ferne erblickte. Ãber den Urenkel, der im Dorf den Mädchen hinterher zu schauen begann, sagte sie: »Brauchst gar nicht der Mutter die Suppe wegessen. Nimmst dir Frau und Kinder, kannste die satt kriegen.« Und wenn sie auf dem Burplatz stehenblieb, wo die Weiber tratschten, rief sie: »Wenn mer all die Mäuler zustopfen wollten, müssten mer viel Dreck ham.« Dann ging die Alte, den Stock in ruckhaften Bewegungen aufsetzend, das Kinn vorgestreckt, mit steifen Schritten weiter. Ihre Augen schimmerten wässrig, der schlaff gewordene Mund schien an irgendetwas zu kauen, das abscheulich schmeckte.
Irma Vahlen, geborene Wittlich, die einmal als das schönste Mädchen von Sehlscheid, vielleicht des ganzen Westerwaldes gegolten hatte, wurde im Dorf seit langem als hässlich bezeichnet, weilman nicht schlichtweg böse sagen wollte. Und so verwunderte es niemanden, dass ihr starker Rücken sich vor der Zeit zu krümmen begonnen hatte. Ihre früher zart geröteten Wangen waren ledrig geworden. Die leuchtenden Augen, die geschwungenen Brauen schienen überdeckt von einer Haut aus Bitterkeit.
Am Morgen hatte die Alte noch die Messe besucht, war an ihrem Stock leise schimpfend die Hüh herunter- und den Kirchweg wieder heraufgeklettert. Trotz des kalten Regens blieb sie hinterher auf halbem Weg stehen. Schnapp hatte dieses Anhalten genutzt, um sich schnell vor ihre FüÃe zu setzen. Aber ohne die Bemühungen des Hundes zu beachten, einen Blick zu erhaschen, ein Wort oder zumindest einen Tritt, hatte die Alte mit gekrümmtem Nacken über die gelbgefärbten Buchenwälder und das diesig verhangene Aulbachtal geblickt, als lausche sie dem Fahnenlied, das in hohen Kinderstimmen vom Marktplatz herüberwehte.
Den Gruà des alten Gehrke, der seine Sau den matschigen Kirchweg entlang zum
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