09-Die Pfade des Schicksals
Ängste.
Ich wollte, ich könnte dich verschonen. Teufel, ich wollte, jeder von uns könnte dich verschonen. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit.
Liand selbst teilte Pahnis Besorgnis keineswegs. Als Linden ihm gestattet hatte, sie aus Steinhausen Mithil zu begleiten, hatte sie ihm die Möglichkeit eröffnet, das Land und sich selbst zu entdecken: eine Entdeckung, die ihm weiterhin spannend erschien. Ohne es zu wollen, hatte sie ihm einen Glanz verliehen, dem sie misstraute, während Liand ihn genoss. Dadurch war er zu dem ersten richtigen Steinhausener seit der Zeit des Sonnenübels geworden.
Und er besaß jetzt neue Kräfte, die ihn vielleicht erhalten würden, wenn und falls Linden das Vertrauen, das er in sie setzte, enttäuschte.
Die Riesinnen wirkten ähnlich wie Mahrtür grimmig und aufgeregt. Mit ihrer Kenntnis der Erde konnten sie die Gefahren vermutlich besser abschätzen als jeder Ramen. Andererseits liebten sie Geschichten voller Gefahren und Wagemut. Und sie liebten Stein: Sie fürchteten sich nicht davor, Jeremiah - oder ihr Schicksal - in den Tiefen der Erde zu suchen. Linden sah schon jetzt voraus, dass sie dort mehr Freude finden würden als der Mähnenhüter.
Wie die Gedemütigten blieb auch Stave ganz er selbst: unergründlich in seiner Konzentration auf den Kern jeder Situation; seiner bewussten Zurückweisung allen Kummers. Aber Anele wurde zusehends ungeduldig. Linden konnte den Grund für seine Ruhelosigkeit nicht erraten, aber sie zeigte sich in seinen angespannten Schultern, seinen zuckenden Fingern und der Art, wie er ruckartig den Kopf bewegte, als hörte er zahlreiche Stimmen. Seine Augen, milchig und blicklos, waren in ruheloser ständiger Bewegung, als fürchtete er, aus dem üppigen Gras könnten Ungeheuer auftauchen.
Und Covenant, der Mann, den Linden geliebt und verloren hatte, wie sie ihren Sohn geliebt und verloren hatte: Obwohl er körperlich anwesend war, blieb er ähnlich wie Jeremiah allein, schien unter einem geistigen oder spirituellen Trümmerberg begraben zu sein und bemühte sich noch immer, sich aus ihm zu befreien. In sich zurückgezogen sprach er unerklärlicherweise von einer Zeit, als Lord Mhoram und er in die Verräterschlucht hinabgeblickt hatten, aus der ein Heer von Höhlenschraten marschiert war.
»So unendlich viele«, murmelte er. »Mehr als man zählen kann. Lord Foul setzt sie in seinen Kriegen als Kanonenfutter ein. Im Kampf gegen Hile Troy hat er Tausende von ihnen geopfert. Und weitere Tausende gegen Schwelgenstein. Sie sind intelligent genug, um nützlich zu sein. Sie sind nur nicht klug genug, um Lügen zu erkennen. Sie sind so gute Soldaten, dass man darüber leicht vergisst, wie schändlich sie getäuscht worden sind.
Teufel, sie brauchen keine Kriege. In den Schrathöhlen haben sie alles, was sie brauchen. Sie wollen keine Stoßtruppen sein. Auch der arme Seibrich nicht … Sein einziger wirklicher Fehler war, dass er auf Lord Foul gehört hat. Danach hatte der Verächter ihn in der Hand.«
Immer wieder schlug Covenant die verbundenen Fäuste aneinander, als hoffte er, der Schmerz werde ihn in die Gegenwart zurückkatapultieren. Der feuchte Glanz in seinen Augen ließ vermuten, dass er weinte.
Das war alles ihre Schuld. Ihre.
Trotzdem blieb er irgendwie Thomas Covenant - der Mann, der Lord Foul zweimal besiegt hatte. Die tiefen Falten in seinem Gesicht, seine hagere Gestalt und auch die Tränen in seinen Augen verliehen ihm ernste Autorität. Er erinnerte an einen vom Unglück verfolgten, aber trotz seines elenden Zustands befehlsgewohnten Herrscher. Im Licht von Liands Sonnenstein leuchtete sein Silberhaar wie ein Banner. Die Verbände an seinen Händen - kirschrot und fleischrosa, durchscheinend und smaragdgrün - waren so grotesk, dass sie seine würdevolle Erscheinung nur noch betonten.
Lindens Augen brannten, als sie Covenant mit seinen Leiden und seinem unerschütterlichen Elan betrachtete. Im Vergleich zu ihm fühlte sie sich schwach und klein. Das lag in seiner Natur - oder in der ihrigen. Trotzdem hatte seine Wirkung auf sie sich verändert. Seit er sie gegen die Gedemütigten unterstützt hatte, sehnte sie sich danach, sich seiner als würdig zu erweisen, und das an Liebe zurückzugewinnen, was sie während seiner scheinbar endlosen Abwesenheit im Bogen der Zeit eingebüßt haben mochte.
Sie vertraute darauf, dass er reagieren würde, wenn sie ihn brauchte.
Was die Gedemütigten betraf, war Linden sich ihrer Sache weniger
Weitere Kostenlose Bücher