09 - Vor dem Tod sind alle gleich
»Die Person, die sich diese schmutzige Art des Geldverdienens ausdachte und Cett und Gabrán überredete, dabei mitzumachen, war Cetts Schwester, seine leibliche Schwester Étromma, die rechtaire der Abtei.«
Schwester Étromma hatte von dem Augenblick an, als Cett beschuldigt wurde, mit gekreuzten Armen und versteinertem Gesicht dagesessen. Sie veränderte ihre Haltung auch jetzt nicht, als zwei von Barráns Kriegern herantraten und sich zu beiden Seiten von ihr aufstellten.
»Leugnest du das, Schwester Étromma?« fragte Barrán.
Schwester Étromma hob den Kopf und starrte den Oberrichter an. Ihr Gesicht verriet keine Bewegung.
»Ein schweigender Mund ist wohlklingend«, antwortete sie ruhig und zitierte damit ein altes Sprichwort.
»Es wäre klug, wenn du dich dazu äußerst«, drängte sie Barrán. »Schweigen kann als Eingeständnis verstanden werden.«
»Ein kluger Kopf schließt den Mund«, erwiderte die Verwalterin fest.
Barrán zuckte die Achseln und gab den Kriegern das Zeichen, sie ebenso wie ihren nun gebändigten Bruder Cett aus der Halle hinauszuführen.
»Ich denke, eine Durchsuchung von Étrommas persönlicher Habe könnte offenbaren, wo sie ihr Geld gehortet hat«, schlug Fidelma vor. »Ich erinnere mich, daß sie mir erzählte, sie hoffe, sich eines Tages auf der Insel Mannanán Mac Lir niederzulassen. Ich glaubte, sie wolle in die Abtei Maughold eintreten. Jetzt meine ich, sie wollte mit ihrem Bruder auf die Insel ziehen und einfach von dem Geld aus ihrem schmutzigen Geschäft im Wohlstand leben.«
Coba erhob sich.
»Oberrichter, ich habe gerade mit dem Boten gesprochen, den ich zur Abtei geschickt hatte. Er bestätigt mir, daß er mit meinem Auftrag, der Äbtissin mitzuteilen, daß ich dem Angelsachsen Freistatt gewährt hatte, zur Abtei kam, Fainder aber nicht sprechen konnte. Er richtete seine Botschaft der rechtaire aus. Étromma erfuhr, wo sich Eadulf befand, an dem Abend, bevor Gabrán zu meiner Burg kam und versuchte, ihn umzubringen.«
»Ich hatte Étromma schon eine Weile im Verdacht«, berichtete Fidelma den Versammelten, »doch wußte ich nicht genau, warum. Erst als ich merkte, daß Fial aus der Abtei und auf Gabráns Schiff geschafft worden war, wurde mir klar, daß sie den Mittelpunkt des Unternehmens bildete.«
»Wieso?« wollte Barrán wissen.
»Ich hatte den Wunsch geäußert, mit Fial zu sprechen. Étromma ließ mich beim Arzt Miach und machte sich auf die Suche nach ihr. Statt in der Apotheke auf sie zu warten, ging ich noch einmal zurück zu Eadulf. Als ich dort ankam, war sein Wächter, Bruder Cett, verschwunden. Der neue Wächter sagte mir, er sei mit Étromma auf dem Wege zum Kai. Später begriff ich, daß sie so Fial aus der Abtei und auf Gabráns Schiff brachten, bevor ich mit ihr reden konnte. Dann kam Étromma zurück und erklärte mir, Fial sei verschwunden. Das traf sich sehr gut! Kurz darauf hörte ich, Gabráns Schiff habe vom Kai der Abtei abgelegt.«
»Ich meine, der Weg ist nun deutlich aufgezeigt, Fidelma«, dankte ihr Barrán. »Kannst du uns auch noch etwas Klarheit darüber verschaffen, weshalb diese Frau sich auf solch ein schändliches Unternehmen einließ?«
»Ich glaube, das unmittelbare Motiv war die Ansammlung von genügend Reichtum, um in einem gewissen Maß von Wohlstand und Unabhängigkeit leben zu können. Wie heißt es im ersten Brief an Timotheus? Radix omnium malorum est cupiditas. Geldgier ist die Wurzel allen Übels. Étromma ist eine unglückliche Frau, das wissen viele. Sie gehört zur königlichen Familie, ist aber eine arme Verwandte. Sie und ihr Bruder wurden, noch Kinder, als Geiseln genommen, und kein Zweig der königlichen Familie erbot sich, den Sühnepreis für ihre Freilassung zu zahlen.«
Fianamail rutschte verlegen hin und her, sagte aber nichts zur Verteidigung seiner Familie.
»Étromma und Cett gelang die Flucht auf eigene Faust, und da sie noch unmündig waren, traten sie in den Dienst der Abtei. Cett war, nicht durch eigene Schuld, geistig behindert und ließ sich hauptsächlich von seiner Schwester lenken. Étromma war nicht begabt genug, um höher aufzusteigen als zum Amt der rechtaire. Das verbitterte sie, obgleich es eine einflußreiche Stellung ist. Seit zehn Jahren war sie schon rechtaire und besorgte die täglichen Geschäfte der Abtei, als Fainder ihr vor die Nase gesetzt und zur Äbtissin gemacht wurde. Das war ein harter Schlag für sie. Vielleicht entstand damals bei ihr der Gedanke, genug Reichtum
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