09 - Vor dem Tod sind alle gleich
selbst den Tod.«
»Willst du behaupten, Daig wäre ermordet worden?« wandte Bischof Forbassach ein. »Es ist hinlänglich bekannt, daß es ein Unfall war. Er fiel, schlug mit dem Kopf auf und ertrank.«
»Ich bin der Meinung, daß Daig auf den Kopf geschlagen wurde, fiel und ertrank, alles in dieser Reihenfolge, wenn er nicht schon tot war, als er ins Wasser stürzte. Das Motiv bestand darin, ihn daran zu hindern, seinem Verdacht weiter nachzugehen.«
Es trat eine Pause ein, in der sich ein Stimmengewirr erhob und langsam verebbte. Dann wandten sich alle Barrán zu. Der leitende Schreiber klopfte mit seinem Stab.
»Fahre mit deinem Vortrag fort, Fidelma«, wies sie der Oberrichter an. »Ich erinnere dich aber daran, daß dies alles noch Vermutungen sind.«
»Dessen bin ich mir bewußt, Barrán, doch ich bin sicher, daß ich am Ende meiner Darlegungen die Zeugen vorführen kann, die die Grundlagen meiner Vermutungen bestätigen werden. So hoffe ich ein Bild zu entwerfen, das keinen Zweifel mehr zuläßt.«
Barrán gab ihr ein Zeichen weiterzusprechen.
»Meine unerwartete Ankunft störte einige dieser Pläne. Es wurde klar, daß Fial einem Kreuzverhör durch eine dálaigh, die nach Fehlern in ihrer Geschichte forschte, nicht standhalten würde, deshalb wurde sie wieder auf Gabráns Schiff geschafft. Man mußte sie loswerden. Doch Gabrán, wollüstig, wie er war, beschloß, das arme Mädchen so lange zu benutzen, bis er von ihr genug hatte. Sie wurde wie ein Tier gehalten, unter Deck angekettet.«
»Bis Fial ihn tötete?« warf Abt Noé rasch dazwischen.
»Ich sagte bereits, daß sie ihn nicht getötet hat«, fauchte ihn Fidelma an.
Barrán war verärgert.
»Du solltest den Ausführungen der dálaigh gut zuhören, Abt. Fidelma von Cashel hat dies bereits eindeutig dargelegt.« Er wandte sich an Fidelma. »Ich habe eine Frage.«
Fidelma sah ihn erwartungsvoll an.
»Solange Bruder Eadulf und Bruder Ibar am Leben waren, bildeten sie doch sicherlich eine Gefahr, denn sie hätten ihre Unschuld beweisen oder wichtige Informationen weitergeben können, die einen nachdenklichen Menschen dazu veranlassen könnten, Nachforschungen anzustellen. Nach unseren Gesetzen, die keine Todesstrafe kennen, wäre es zwecklos, die Schuld einem anderen zuzuschieben, denn es bestünde immer die Möglichkeit, daß er seine Unschuld an den Tag bringen könnte…«
»Aber wer fragt nach der Unschuld eines Toten?« bemerkte Fidelma trocken.
»Hat also das Drängen der Äbtissin Fainder auf Bestrafung nach den Bußgesetzen, also auf die Todesstrafe, etwas damit zu tun? Oder die Tatsache, daß Bischof Forbassach offenbar seinen Eid als Brehon vergaß und in dieser Sache mit der Äbtissin übereinstimmte? Wenn das so ist, müssen wir auch berücksichtigen, daß Abt Noé den König Fianamail dahingehend beeinflußte, die Bußgesetze an die Stelle der Gesetze der Fénechus zu setzen.«
Fidelma gab sich keine Mühe, zur Gegenseite hinüberzublicken.
»Das hat sehr wohl damit zu tun, Barrán. Der Plan die Schuld auf Eadulf und Ibar zu schieben, hatte letztendlich zum Ziel, daß beide hingerichtet würden.
Mortui non mordent! «
Barrán schaute grimmig drein.
»Tote beißen nicht«, wiederholte er und genoß den Satz.
Bevor erneutes Murmeln einsetzen konnte, fuhr Fidelma fort: »Der Plan hätte trotz meines Eingreifens gelingen können, wäre da nicht der bó-aire von Cam Eolaing gewesen.«
Coba sah überrascht auf. Er hatte in gespannter Haltung dagesessen.
»Was hatte ich damit zu tun?«
»Du bist gegen die Anwendung der Bußgesetze. Aber weder Bischof Forbassach noch Äbtissin Fainder ahnten, wie sehr du dagegen eingestellt bist und wie weit du gehen würdest, um das Rechtssystem dieses Königreichs zu wahren.«
Coba machte ein wehmütiges Gesicht.
»Ich bin zu alt, um mich an neue Anschauungen zu gewöhnen. Wie sagen doch die Brehons? Ein biegsamer Zweig ist dauerhafter als ein starrer Baum.«
»Eadulf verdankt deiner Starrköpfigkeit sein Leben, Coba. Du tatest das, was kein Mensch erwartete, indem du Eadulf befreitest und ihm Freistatt gewährtest.«
»Und dafür wirst du büßen müssen«, knurrte Bischof Forbassach mit einem zornigen Seitenblick.
»Das wird er nicht«, fuhr Barrán scharf dazwischen.
»Verteidigung des Rechts ist kein Verbrechen.«
Bischof Forbassach starrte den Oberrichter haßerfüllt an, schwieg aber klugerweise.
»Allerdings«, sprach Fidelma weiter, als hätte es keine Unterbrechung gegeben,
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