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090 - Die Totenwache

090 - Die Totenwache

Titel: 090 - Die Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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begrüßte ihn mit einem freundlichen Grinsen. Irgendwie erschien ihm der Alte zwischen den grauschwarzen Säulen des Museums deplaziert.
    „Hallo, Norman - schon einen Blick in die Zeitung geworfen?"
    Norman hielt irritiert inne. Es kam selten vor, daß er die Zeitung vor dem Mittagessen aufschlug.
    Zwischen einer Portion „fish and chips" überflog er die lokalen Nachrichten.
    „Nein, Coley, was gibt's denn Besonderes?"
    „Na, die ganze Stadt redet von dieser Fata Morgana!"
    „Willst du mich zum Narren halten, Coley? Für Aprilscherze ist es zu spät.
    Norman runzelte die Stirn, als der Alte eine verknitterte Zeitung unter der Telefonablage hervorholte. In großen schwarzen Lettern stand dort: UNHEIMLICHE VISION ÜBER LONDON! Norman blätterte seine Zeitung durch und fand den Artikel zwischen den lokalen Anzeigen. Tausende hatten mehr oder weniger deutlich das Bild einer schlafenden Schönen gesehen. Und wenn mehrere tausend Menschen dieselbe Vision hatten, konnte man schwerlich von einer Zeitungsente sprechen. Höchstens von einem unerklärlichen Fall von Massenhysterie. Doch Norman gab wenig auf die Erklärungen der Psychologen. Solange er diese „Fata Morgana" nicht gesehen hatte, war ihm der Fall gleichgültig.
    „Dieselben Meldungen kommen aus Tokio, Berlin, New York und sogar aus Bombay - lediglich der Ostblock schweigt dazu."
    Der Pförtner kaute auf einem Stück trockenem Brot. Er sah Norman erwartungsvoll an, als hoffe er auf einen Kommentar. Doch Norman schwieg. Er faltete die Zeitung wieder zusammen und nickte dem Alten kurz zu.
    „Gestern waren es Fliegende Untertassen", sagte Norman schließlich. „Heute ist es eine wunderschöne Zauberfee, die uns armen Erdenbürgern eine wunderbare Zukunft verheißt. Den Jungs in den Schreibstuben der Redaktionen fällt doch immer wieder was Neues ein. Das muß man ihnen wirklich lassen."
    Norman lachte noch, als er in die Verwaltungsabteilung einbog. Dort hatte er seinen Schrank, in dem auch die Uniform eines Museumsdieners hing. Er hatte die Geschichte mit der merkwürdigen Vision längst vergessen, als er sich umzog.
    Er schlenderte durch die verlassenen Gänge. Bevor sich der Besucherstrom durch die Hallen des Museums wälzte, herrschte hier eine himmlische Ruhe. Von den Statuen ging etwas Erhabenes aus. Über allem lag der dumpfe Geruch, der allem Vergangenen innewohnte. Und hier waren Jahrtausende versammelt. Uralte sumerische Siegel, Tontäfelchen mit Keilinschriften, Zeugnisse von Menschen, von denen nicht einmal mehr Staub übriggeblieben war. Dann die kostbaren Mumien. Die versteinerte Sandleiche aus der Sahara. Waffen, Schmuckstücke und halbzerfallene Rüstungen. Norman warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte noch ein wenig Zeit, bevor die ersten Besucher ins Museum eingelassen wurden.
    Er beschloß, die Zwischenzeit im Archiv zu verbringen.
    In langen Reihen standen hier alte, verstaubte Folianten. Ein Mensch allein hätte die Menge des Materials niemals bewältigen können. Dennoch fühlte er sich in diesem abgelegenen Raum wohl. Bis hierher konnte der Verkehrslärm nicht dringen. Totenstille herrschte zwischen den Buchregalen. Norman hatte das Gefühl, daß hier unten die Zeit stillstand. Er versuchte, sich vorzustellen, daß er für alle Ewigkeit zwischen den Regalen stehenblieb. Er empfand dabei weder Angst noch Freude. Plötzlich runzelte Norman Moore die Stirn. Er ließ die Rechte über die rissigen Lederrücken der alten Bücher gleiten. Unmittelbar vor ihm gab es einen schmalen Durchgang zwischen den Regalen. Dort schimmerte ein grünes Licht.
    Norman beschleunigte seine Schritte und bog im die Ecke.
    Er erstarrte vor Schreck. Ein geisterhaftes Licht blendete ihn. Er wischte sich erschrocken über die Augen. Und als er noch einmal hinsah, war es immer noch da.
    „Die Zauberfee und ihr Skelettwächter", sagte er tonlos, mit bebenden Lippen.
    Zwischen den Buchregalen, die an dieser Stelle einen quadratischen Raum bildeten, erhob sich der Steinsarkophag, auf dem die blonde Schönheit ruhte. Sie lag ganz entspannt da. Obwohl sich ihre gutgeformten Brüste nicht hoben, wußte Norman instinktiv, daß sie lebte.
    Der Knochenmann kauerte zu ihrer Rechten. Er schien in Anbetung der Schönen gestorben und verwest zu sein. Seine demutsvoll angewinkelte Linke bezeugte seine Unterwerfung unter die Herrschaft der stummen Geliebten.
    Norm an schluckte.
    Ihm kam in den Sinn, daß man ihm letzte Nacht vielleicht etwas in den Joint gemischt hatte.

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