0900 - LAIRE
erlebt hatten. Allerdings war diese Erklärung mehr als dürftig, gestand Pentergall sich ein.
Die wyngerischen Astronomen hatten die Bahnen der Monde berechnet, es war genau bekannt, wann ein Mond aufging und wann es zu Finsternissen kam. Und auf Bostell war um diese Zeit weder der eine noch der andere Vorgang zu erwarten.
Pentergall eilte ins Lager zurück, denn er hatte den Wunsch, bei den anderen zu sein.
Unsinnige Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Vielleicht kam es zu einer mondumspannenden Katastrophe, bei der die Atmosphäre von Bostell verbrannte. Aber die Erscheinung am Himmel sah nicht wie ein chemischer Prozeß aus. Außerdem machte das Licht trotz seiner Helligkeit keinen gefährlichen Eindruck. Pentergall schaute sich nach den Kommandanten und Wissenschaftlern um und sah sie zwischen den Wohnkuppeln stehen und zum Himmel blicken. Sie diskutierten aufgeregt miteinander.
Aus den Kuppeln, die vor wenigen Tagen aufgebaut worden waren strömten jetzt weitere Wynger auf den freien Platz.
Pentergall begab sich zu den Wissenschaftlern, denn es interessierte ihn zu erfahren, was sie von der Sache hielten.
Er erlebte jedoch eine Enttäuschung, denn in den Worten der führenden Wynger spiegelte sich die Ratlosigkeit dieser Männer und Frauen. Kerpron gab einige Befehle, damit Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden. Um die 1-KÄNAR bildete sich ein Schutzschirm. Kerprons Anordnungen bewiesen deutlich daß er ein praktisch denkender Mann war. In der Lichtwolke am Himmel bildete sich nun ein dunkler Punkt, der schnell größer wurde. Es sah aus, als würde irgend etwas auf die Oberfläche von BosteIl herabsinken. Die Konturen dieses Körpers waren schwer zu bestimmen, denn es tat den Augen weh, in das Licht zu blicken.
Plötzlich begann die Mondoberfläche zu vibrieren. Es war, als würde ganz Bostell von unerklärlichen Kräften geschüttelt.
„Ein Beben!" rief einer der Wissenschaftler entsetzt. „Ein Mondbeben!"
„Wie kommst du darauf, daß es sich um ein Mondbeben handeln könnte?" fuhr Kerpron ihn an. „Ihr Wissenschaftler behauptet doch immer, daß es auf Bostell keine Beben mehr geben könnte."
„So sicher kann man da nie sein", antwortete der Gerügte.
Pentergall wunderte sich über diesen kurzen Dialog, denn es war doch offensichtlich, daß das Beben nicht von irgendwelchen geologischen Vorgängen im Innern von Bostell ausgelöst wurde, sondern von dem Licht am Himmel. Weigerten die Wissenschaftler sich vielleicht, das anzuerkennen, weil es keine vernünftige Erklärung dafür geben konnte?
Die Erschütterungen erreichten eine gewisse Stärke und hielten dann an. Sie waren nicht so heftig, daß irgend etwas davon zerstört werden konnte. Es war genau wie mit dem Licht, dachte Pentergall: Man gewann nicht den Eindruck, daß die Entwicklung gefährlich sein könnte. In diesem Augenblick ertönte eine Stimme. Es war nicht festzustellen, woher sie kam, aus dem Boden oder vom Himmel, aber später erfuhren die Mitglieder der Expedition, daß sich dieses Phänomen gleichzeitig auf allen anderen von Wyngern bewohnten oder besuchten Monden ereignet hatte.
„Wynger!" donnerte die Stimme, die so laut war, daß sie Pentergall regelrecht erschütterte. „Ihr habt euch in diesem einzigartigen System, das ihr Torgnisch nennt, niedergelassen, ohne zu bedenken, daß es der Sitz einer alles umfassenden Macht ist."
Einige Expeditionsmitglieder gerieten in Panik und rannten ziellos aus dem Lager, andere warfen sich zu Boden. An den Eingängen zu den Kuppeln entstand ein regelrechtes Gedränge, weil viele Wynger ins Innere der Gebäude fliehen wollten, als könnten sie dort der Stimme entkommen.
Pentergall stand ganz ruhig. Er fühlte sich von einem stillen Triumph beseelt.
Er hatte schon immer gewußt, daß die alten Mythen die Existenz der Wynger nicht zu erklären vermochten. Es mußte ganz einfach eine Macht geben, die für alles verantwortlich war.
„Das Torgnisch-System", fuhr die alles durchdringende Stimme fort, „ist die Nabe eines unermeßlichen Rades, des Alles-Rads. In der Entwicklung eurer Zivilisation habt ihr nun einen Stand erreicht, der es euch erlaubt, dem Alles-Rad zu dienen."
Pentergall erbebte innerlich. Er hatte die Augen geschlossen und war ganz auf die Stimme konzentriert.
„Einige Berufene unter euch werden zukünftig meine Anweisungen entgegennehmen", sagte die Stimme. „Wenn ihr nach den Regeln des Alles-Rads lebt, werdet ihr eine große Zukunft haben."
Das Mondbeben
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