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0907 - Imperium der Zeit

0907 - Imperium der Zeit

Titel: 0907 - Imperium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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wiederholte Bechtel sachlich, und selbst Terticus hielt inne, als wolle er ihm zuhören. »Mag sein, dass er sich einiges Mummenschanzes bedient, der diesem höchsten aller Nordgötter zugeschrieben wird, aber wenn er wirklich wäre, was er zu sein vorgibt, dann wären wir alle nicht mehr hier.« Bechtel schüttelte den Kopf. »Bei meinen Sagen kenne ich mich aus.«
    »Lachhaft«, zischte der Schattenmann, doch Nicole glaubte, einen Hauch von Sorge in seiner Stimme zu hören. Sie hoffte, dass dies keine Einbildung war.
    Zamorra, der an Nicis Seite getreten war und versuchte, das Amulett durch Berührung der Hieroglyphen an dessen Oberfläche in Aktion zu versetzen, räusperte sich. »Ich stimme Ihnen zu, Herr Bechtel. Wer immer Ihr ungebetener Gast ist, seine Kraft reicht bei weitem nicht aus, um eines Odins würdig zu sein. Vielleicht ist er…«, hier lächelte der Professor und warf Terticus einen wissenden Blick zu, »ein Nachahmer. Oder ein Usurpator.«
    »Was erdreistet ihr euch?«, brauste die sonore Stimme auf, und Nicole spürte, wie die Luft im Zimmer rapide kälter wurde. Binnen Sekunden hatten sich erste Eisblumen auf den Fensterscheiben gebildet. »Was maßt ihr euch an, mich beurteilen zu wollen? Glaubt ihr etwa, meine Macht reicht nicht aus, um mit euch fertig zu werden?«
    Professor Zamorra lächelte verbissen, reckte den Kopf hoch und spannte die Schultern an. »Ich dachte schon, du fragst nie…«
    Zamorra hob die Hand, berührte Nicole an der Schulter und sagte: »Jetzt!«
    Mit einer ruckartigen Bewegung riss die Französin den rechten Arm in die Höhe und präsentierte den Dhyarra-Kristall. Mit der Linken griff sie zur Seite und umfasste, wie Zamorra vor ihr, den rot glühenden Speer. Dann öffnete sie ihren Geist.
    Das Letzte, was Nicole Duval noch bewusst wahrnahm, bevor sie sich ganz der Konzentration auf die vor ihr liegende Aufgabe widmete, war Zamorras Stimme. »Wenn du wirklich so mächtig bist, wie du uns glauben machen willst«, sagte der Professor spöttisch, »warum hindert dich Terticus' Anwesenheit dann daran, deine Absichten in die Tat umzusetzen?«
    ***
    Nicoles Geist war ein einziger blauer Blitz. Weit öffnete sie die mentalen Tore ihres Verstandes, hieß die Kraft des Dhyarra-Kristalls willkommen, und dann konzentrierte sie die Macht ihrer Gedanken auf das eine Ziel.
    Den Dämon.
    Nichts gab es mehr für sie, nur dieses Ziel. Nur den Schattenmann. Er füllte ihr Bewusstsein aus, er war ihr Anfang und ihr Ende. Er war es, den zu bekämpfen sie bereit war. In diesen Momenten war Nicole nicht mehr die Partnerin Zamorras. Sie war nicht länger die ehemalige Studentin, die den Professor bei einem ihrer Nebenjobs kennengelernt hatte.
    Sie war ganz Wille, ganz weißmagische Energie. Und somit eine tödliche Waffe!
    Das Blau des Sternsteines vermischte sich mit dem Rot des Speeres - nicht Gungnir, aber ein ähnliches Machtinstrument - zu einer gewaltigen, immensen Energiewelle. Nicole, die ihren Teil dazu beitrug, wurde fast weggerissen von ihrer Intensität. Wie aus weiter Ferne drang Zamorras Stimme zu ihr durch, und sie hörte Beschwörungsformeln, Sentenzen der Macht. Allem Anschein nach warf ihr Chef sein Talent ebenfalls in den Ring - auch ohne die Hilfe von Merlins Stern war Zamorra ein sehr begabter Magier.
    Vor ihrem geistigen Auge sah Nicole den Römer, spürte den Speer nahezu körperlich - und sie empfand eine unglaubliche Erleichterung, als Terticus die Waffe, die so viel Leid über Trier gebracht hatte, tief ins Herz der Schatten stieß.
    Dann war es vorbei, und das Letzte was Nicole wahrnahm, bevor ihre Sinne schwanden, war, wie der Kaiser des gallo-römischen Reiches in weißem, dichtem Nebel verschwand. Terticus lächelte.
    ***
    Wald nahe Châlons-sur-Champagne, im März 274 n. Chr.
    Nebelschwaden zogen durch den Forst, strichen um Bäume und Sträucher und dämpften die Geräusche der Schlacht, die von Ferne mit dem Morgenwind herüberwehten. Vor wenigen Minuten erst war die Sonne aufgegangen, doch schon wieder hatte der Kampf begonnen, jener unsägliche, wahnsinnige und doch bedeutungslose Kampf. Mann gegen Mann standen sie auf den Feldern jenseits des Waldrandes, die Schilde erhoben und die Waffen zur Hand. Zwei Armeen, und eine von ihnen wurde sekündlich kleiner. Seit Tagen schon.
    Terticus war müde. So unglaublich müde.
    Eigentlich sollte er dem princeps iuventutis dankbar sein. Entgegen seinen früheren Befürchtungen hatte sich Terticus II. während der…

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