091 - Ein Geist kehrt zurück
habe.«
»Sie könnten einem Horrorautor als Ideenlieferant dienen«, sagte Anderson. »Ich kenne da einen ausgeflippten Typen in Wien…«
»Ich träumte das alles so furchtbar realistisch. Als würde es tatsächlich passieren. Und heute morgen war dann Stan Vandell wirklich tot.«
»Zufall«, sagte Anderson. »Niemand kann in die Zukunft sehen. Auch im Traum nicht. Außerdem war Ihr Traum - ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich es sage - ein bißchen überdreht. Ein Mann mit strahlenden Händen. Ein Wolfsgebiß. Und Vandell verliert sein Herz. So etwas ist nur in einem Alptraum möglich.«
Lane Campas nickte. »Sie haben natürlich recht, so etwas kann sich niemals wirklich zutragen, aber je länger ich mich damit auseinandersetze, desto mehr bilde ich mir ein, daß es kein Traum, sondern Wirklichkeit war. Vielleicht sollte ich fragen, ob die hier auch einen Psychiater haben.«
Rocky Harris, der Krankenpfleger, betrat das Zimmer. »Na, habt ihr euch schon angefreundet?«
»Ja«, sagte Anderson lächelnd. »Mr. Campas hat mir soeben eine unheimliche Geschichte erzählt. Wollen Sie sie hören?«
»Auf Gruselstories steh' ich wahnsinnig«, sagte der Krankenpfleger grinsend.
Es war Campas nicht recht, daß Anderson die Geschichte weitererzählte, aber er wußte nicht, warum. Was war schon dabei?
Rocky Harris schüttelte sich, nachdem Anderson geendet hatte. »Mann, die Story war wirklich gut. Ich guck' bald wieder bei euch rein. Vielleicht habt ihr dann was neues Gruseliges auf Lager.« Er wechselte die Handtücher und ging.
»Der Unheimliche in Ihrem Traum«, sagte Ken Anderson zu Lane Campas, »hatte er kein Gesicht? Ich meine, können Sie ihn nicht beschreiben?«
»Ich habe sein Gesicht gesehen«, sagte Campas.
Andersons Miene spannte sich.
»Aber irgendwie scheint sich mein Geist gegen diese Erinnerung zu wehren. Ich sehe den Mann genau vor mir. Nur sein Gesicht befindet sich hinter einem nebeligen Oval. Ich kann es nicht erkennen.«
Anderson lachte heiser. »Hoffentlich kommen Sie nicht auf die Idee, Ihrem unheimlichen Killer meine Gesichtszüge zu verleihen.«
***
»Herzlich willkommen, Tony«, sagte Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, umarmte mich, küßte mich auf die Wangen und drückte mir ein Glas Pernod in die Hand.
Das Wohnzimmer quoll über. Ich grinste. »Ich wußte nicht, daß ich so viele Freunde habe.«
Auch Daryl Crenna, der Gründer des »Weißen Kreises«, Mason Marchand, Brian Colley - drei Männer aus der Welt des Guten - waren gekommen. Dort hießen sie Pakka-dee, Fystanat und Thar-pex.
Es waren aber auch noch die beiden Gnome von der Prä-Welt Coor da: Cruv mit seiner Freundin Tuvvana, zu der ich mich hinunterbeugen mußte, weil auch sie mich küssen wollte.
Auch mein Ahnherr, der Hexenhenker Anthony Ballard, war anwesend, und stumm und bescheiden wie immer stand Boram, der Nessel-Vampir, diese graue Dampfgestalt, in einer Ecke des Raumes.
Er drängte sich nie vor, war aber immer zur Stelle, wenn ich ihn brauchte. Ich begrüßte ihn, und er nannte mich wieder »Herr«. Ich wollte nicht, daß er sich so unterordnete, aber ich konnte es ihm nicht abgewöhnen.
Lance Selby, unser Freund und Nachbar, befand sich in Langley, um Noel Bannisters Männer für die Dämonenjagd auszubilden, und Vladek Rodensky, der Brillenfabrikant, der auch zu meinen engsten Freunden zählte, wäre ebenfalls sehr gern gekommen, mußte jedoch dringender Geschäfte wegen in Wien bleiben.
Es fehlte mir eigentlich nur noch Jubilee, der nette Prä-Welt-Floh. Kaum hatte ich an sie gedacht, da rief sie hinter mir meinen Namen, und als ich mich umdrehte, war ich wie vom Donner gerührt. So hübsch, so apart, so herzerfrischend und sympathisch hatte ich sie nicht in Erinnerung gehabt.
Das himmelblaue Kleid, das sie trug, lag wie eine zweite Haut an ihrem jungen, geschmeidigen Körper. Ich war froh, daß sie zur »Familie« gehörte.
Jubilee stürzte sich auf mich, als wollte sie mich umwerfen, und sie umarmte mich mit einer Herzlichkeit, die überwältigend war. Ich war wieder daheim, und es war noch schöner, als ich es mir vorgestellt hatte.
***
Rocky Harris hatte nur einen Fehler: Er konnte nichts für sich behalten. Was man dem Krankenpfleger erzählte, trug er prompt durch die ganze Klinik.
Man hätte es ebensogut einer Katze an den Schwanz binden können. So machte Lane Campas' unheimlicher Traum ziemlich schnell die Runde im Krankenhaus.
Und er kam auch dem Chefarzt zu Ohren. Dr.
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