092 - Da lacht der Satan
und ging ins schwarzgekachelte Bad. Sie war geldgierig, und es tat ihr in der Seele weh, daß sie diese fünfzigtausend Dollar ausschlagen mußte. Unter dreitausend Dollar legte sie keinem mehr die Karten, aber Honorare in Höhe von fünfzigtausend waren sehr, sehr selten.
Das Telefon summte wieder, als La Papesse gerade die Tür schließen wollte. Sie nahm noch einmal ab.
„Was ist denn jetzt wieder?"
„Ackroyd sagt, du kannst hunderttausend Dollar bekommen oder zum Teufel gehen. Shirley, überleg doch mal! Hunderttausend Dollar in einer halben Stunde!"
„Nein, verdammt noch mal. Sag Ackroyd, wo er sich seine hunderttausend Dollar hinstecken kann. Er soll morgen kommen oder es bleiben lassen."
Sie knallte den Hörer auf den Apparat, empört darüber, daß sie so eine Geldsumme ausschlagen mußte. Aber diesen Vormittag brauchte sie für die große Beschwörung. So günstige Stern- und Schicksalskonstellationen hatte sie vielleicht im ganzen Leben nicht wieder. Um Punkt zehn Uhr zwei war der entscheidende Zeitpunkt. Und wenn die Beschwörung gelang, waren auch hunderttausend Dollar nur noch Hühnerfutter für La Papesse.
Sie verschwand im Badezimmer. Eine halbe Stunde später saß sie im Eßzimmer, das zur FünfZimmer-Suite gehörte, beim Frühstück. Ritchie lümmelte auf der Eckbank herum, eine unangezündete Zigarette im Mund. Er wartete darauf, daß La Papesse mit dem Frühstück fertig wurde.
La Papesse begnügte sich mit einer Scheibe Toastbrot, etwas Salat und einem Glas Grapefruitsaft, denn sie achtete auf ihre schlanke Linie. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, aber dennoch einfaches weißes Kleid.
Ritchie, ein blonder Hüne mit einer gezackten Narbe auf der linken Wange, betrachtete sie fragend.
„Willst du irgendwen heiraten, oder weshalb bist du ganz in Weiß?"
„Du weißt, daß heute vormittag etwas sehr Wichtiges stattfinden soll. Du wirst jede Störung von mir fernhalten und mich auch selber auf keinen Fall belästigen. Hast du das verstanden?"
„Natürlich. Kannst du mir vielleicht sagen, worum es geht? Du tust mächtig geheimnisvoll. Was hat denn dieser Bronzekreis im Wohnzimmer zu bedeuten? Der Portier und die Pagen schauten völlig konsterniert, als das Ding gestern in den Lift gebracht wurde."
„Es ist ein magischer Kreis. Ich brauche ihn für eine Beschwörung."
La Papesse hatte jetzt ihr Frühstück beendet. Sie nahm eine Zigarette aus dem Etui, und Ritchie beeilte sich, erst ihr und dann sich Feuer zu geben.
„Du machst mir Freude!" rief er dann. „Eine lumpige Beschwörung, und dafür schlägst du Ackroyds hunderttausend Dollar in den Wind."
La Papesses Stimme klang eiskalt, als sie sagte: „Halt deinen dummen Mund! Ich weiß sehr wohl, was ich tue. Wenn ich nicht gewesen wäre, würdest du immer noch an der East Side herumlungern und Leute zusammenschlagen und ausrauben. Und noch etwas, Ritchie: Ich habe gestern Karten gelegt, auch für dich. Du hattest den Tod und den Gehenkten unter deinen Karten. Das sind sehr, sehr böse Vorzeichen, die ein gewaltsames Ende bedeuten können. Heute zwischen zehn und elf mußt du äußerst vorsichtig sein. Am besten, du läßt überhaupt niemanden in die Suite."
Ritchie war so bleich geworden wie ein Laken.
„Und nach elf Uhr?"
„Dann müßte alles wieder normal sein."
Ritchie wußte, daß La Papesse kein dummes Zeug redete. Sie las aus den Tarockkarten und wußte die Zukunft zu deuten. Ihr Name, La Papesse - die Päpstin - leitete sich von dem zweiten Trumpf im Tarockspiel ab.
Shirley La Motte war als Tochter einer ungarischen Mutter und eines unbekannten Vaters in South Brooklyn geboren. Kurz nach Shirleys Geburt sank die Mutter noch eine Stufe tiefer auf der sozialen Rangleiter und zog in ein Elendsviertel in der oberen Bronx. Dort wuchs Shirley, die damals noch einen unaussprechlichen ungarischen Nachnamen hatte, auf. Mit vierzehn riß sie von zu Hause aus und versuchte auf alle möglichen Arten, nach oben zu gelangen. Für ein hübsches junges Mädchen gab es zwar verschiedene Möglichkeiten, aber sie liefen letzten Endes doch alle auf dasselbe hinaus. Mit fünfundzwanzig war Shirley ein Tanzgirl in einem drittklassigen Kabarett, die vierte von links. Wenn sie nicht mit gutsituierten Klubgästen ins Bett gegangen wäre, hätte sie nicht genug Geld zum Leben gehabt. Aber dann machte sie am Ende einer langen Marihuanaparty zufällig eine Entdeckung. Die abgeschlaffte Partygesellschaft hatte schon alles ausprobiert -
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