094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
Übertragung zu sehen oder zu hören. Alle Betrachter zuckten zusammen. Ein alter Lappe rutschte sogar von seinem Stuhl und verkroch sich zitternd unter dem Tisch.
Fürchterlich grollte die Stimme des teuflischen Glatzkopfes.
„Menschen - Eure Stunde ist nahe! Ihr könnt nicht entweichen. Ihr löst euch nicht von eurem Schicksal. Ihr seid dem ausgeliefert, was über euch kommen und euch dahinraffen wird, wenn ihr euch nicht zu den Mächten der Finsternis bekennt."
In stummer Angst hörten die Männer den Rest der drohenden Botschaft, dann verblaßte die Erscheinung.
Der Nachrichtensprecher tauchte wieder auf dem Bildschirm auf und verlas die Notizen über Tagespolitik, Wirtschaft, Wetter und Sport.
Eike Gynt gewann als erster die Fassung wieder. Er kam hinter der Theke hervorgestapft, ging zum Gerät und fummelte daran herum. Er probierte alle Sender durch, unternahm einfache Tests, konnte jedoch keinen Defekt feststellen. „Der Teufel soll die Idioten von der Fernsehanstalt holen", versetzte er murmelnd. „Was die sich neuerdings erlauben."
Der alte Lappe kam unter seinem Tisch hervorgekrochen. Er erhob sich und deutete mit einem zitternden Finger auf den Apparat und den Wirt.
„Beschwör's nicht, Eike! Es war der Leibhaftige höchstpersönlich. Ich schwör's dir! Ein Spuk der Hölle!"
Gynt winkte ab. „Unsinn, Peer Makselv! Denk gefälligst mit dem Gehirn und nicht mit was anderem! Am Gerät kann's nicht liegen, wohl aber an der Station. Wäre nicht das erste Mal. Ich wette, alle anderen aus Tingvoll, die ebenfalls einen Fernseher haben, haben den verrückten Glatzkopf auch gesehen."
Ein Mann Mitte der Fünfzig stand auf. Er hieß Arne Lillehammer und war Fischer, ein Mann mit einer gegerbt wirkenden Gesichtshaut und großen, schwieligen Händen. „Urteile nicht so leichtfertig, Eike! Ich gehöre einem etwas älteren Jahrgang an als du. Habe mehr gesehen, besonders draußen auf See. Im Eismeer gibt es Dämonen, Geister und Götzen, von denen man nie weiß, wann sie ihr Gebiet verlassen, um die Menschen zu erschrecken und zu quälen."
„So ein Mummenschanz!" rief Gynt. „Ich glaube nicht daran. Los, ich gebe eine Lokalrunde aus. Trinkt alle einen ordentlichen Schnaps, damit ihr nicht länger über den Blödsinn nachzudenken braucht, den wir soeben gesehen haben."
Er kehrte an seinen Platz hinter dem Tresen zurück, stellte Gläser auf, schenkte aus, lachte und scherzte mit den Männern, die aufstanden und herüberkamen. Eike Gynt war aber irgendwie innerlich nicht wohl zumute. Auf unerklärliche Weise machte sich ein Gefühl der Bedrohung in seinem Geist zu schaffen.
Die Tür öffnete sich. Köpfe zuckten herum. Der alte Lappe stieß unwillkürlich einen jammernden Laut aus. Arne Lillehamer nahm Abwehrstellung ein.
Ein eisiger Windhauch erfaßte die Tür und warf sie schmetternd gegen die Innenwand. Mit den hereinwirbelnden Schneeflocken erschien die breite Gestalt eines Mannes, den alle kannten. Es wurde aufgeatmet.
„Holger Kringsja!" rief der Wirt. „Du kommst im richtigen Augenblick. Ich wette, daß du den Freischnaps von deinem Haus aus gewittert hast."
Kringsja näherte sich schweren Schrittes der Theke. Er war kein schöner Mann. Seine Züge waren grob, sein Kinn dick und dunkel schattiert. Ihm gehörte der Kaufmannsladen von Tingvoll, und er galt als einer der wenigen wohlhabenden Männer des Ortes.
Kringsjas Blicke richteten sich auf Gynt. „Habt ihr den Glatzkopf auch gesehen?"
„Ja"
„Er hat im Fernsehapparat gesprochen und Drohungen ausgestoßen."
„Ja." Gynt reckte sich. „Da haben wir den Beweis! Es lag wirklich an der verdammten Station." Kringsja schüttelte energisch den Kopf. „Du irrst dich. Es war ein Zeichen des Bösen. Eine Ankündigung. Der Schneesturm über Tingvoll läßt nach - aber nur über unserer Stadt."
Arne Lillehammer schob sich neben den Kaufmann. „Was willst du damit sagen?"
„Ich weiß es selber nicht. Aber ich habe viele dicke Bücher über Zauberer und Geister gelesen und oft mit Vik, dem Noaiden, gesprochen. Der Glatzkopf kann nur ein Wesen der Hölle sein, das sage ich euch."
Die Männer redeten aufgebracht und entsetzt durcheinander. Peer Makselv, der Lappe, verließ den Schankraum und eilte mit einer nicht bezahlten Flasche Schnaps unter dem Arm durch den kniehohen Schnee davon.
Eike Gynt dämpfte das Stimmengewirr durch eine Handbewegung, dann wandte er sich interessiert an Kringsja. „Vik, der Noaide? Du meinst den Zauberer, der
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