0950 - Ein Gruß aus der Hölle
mehr fragen können«, sagte Suko. »Hast du damit gerechnet, John?«
»Nein, das habe ich nicht.«
Glenda legte ihre Theorie offen. »Möglicherweise hat sich bei ihr nach der Geburt des Kindes dieser Wandel vollzogen. Oft reagieren Frauen ja sehr sensibel und geraten auch in eine Krise. Das kann bei ihr der Fall gewesen sein.«
»Ja, durchaus.«
»Damit hätten wir die Existenz dieser Marion Bates geklärt«, sagte Suko, »aber was ist mit Caroline? Woher kommt sie? Was ist sie für ein Kind? In welcher Verbindung steht sie mit der Bates?«
»Wir werden es herausfinden und vor allen Dingen diesen Tillman fragen. Er wird sich ja wohl nicht verkrochen haben. Ein Mann wie er muß zu finden sein.«
Sir James, der meine letzten Worte gehört hatte, weil er sich schon im Vorzimmer befand, sagte:
»Er wird auch für Sie zu finden sein, meine Herren.«
Drei Augenpaare schauten ihn gespannt an. »Wo denn?« fragte Glenda.
»Wir wissen, daß er Privatgelehrter ist. In seiner Unterkunft, die groß genug ist, hält er seine Schulungen ab. Wir haben herausgefunden, wo sich dieses Haus befindet. Er lebt in Pimlico, in der Nähe eines Friedhofs.«
»Friedhof?« fragte Suko.
»Ja.«
»Ist das Zufall?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Suko. Jedenfalls ist es eine Tatsache, Gentlemen.«
Ich schabte über mein Kinn und merkte, daß ich mich schlecht rasiert hatte. »Pimlico also. Da bin ich gespannt. Anrufen werden wir den Herrn sicherlich nicht. Am liebsten sind mir immer die Überraschungsbesuche.«
»Ob der andere auch so denkt?« fragte Suko. Er hatte sich bereits von seinem Stuhl erhoben.
»Das ist mir egal.«
Wir waren voll dabei. Die schlechte Nacht hatte ich längst vergessen.
Auch Sir James sah uns an, in welcher Stimmung wir uns befanden. Er sah die Dinge nüchterner.
»Unterschätzen Sie diesen Mann nicht, falls sich der Verdacht bestätigen sollte. Sie wissen selbst, daß Satanisten keine Gnade kennen.«
»Das weiß ich, Sir. Aber uns sollte er auch nicht unterschätzen…«
***
Die beiden Mädchen hatten den Friedhof betreten, und während er für Caroline normal war, konnte Marion nur staunen, denn diese Umgebung kam ihr vor wie ein gewaltiger Eispalast, der zudem noch von einer unnatürlichen Stille umgeben war.
Sie war von dieser Umgebung so stark angetan, daß sie selbst die Kälte vergaß. Friedhofsbesuche hatte sie schon mehrmals gemacht, aber nicht im Winter, nicht bei diesen Temperaturen.
Die Bäume ächzten unter der Last des Eises. Selbst um die Mittagszeit taute es nicht. Die Sonne war zu schwach. In ihrem Licht funkelten die unzähligen Eiskristalle wie wertvolle Diamanten.
Die Bäume rahmten den Hauptweg ein, den die beiden Mädchen entlangschritten. Als hohe Skelette säumten sie den Weg, waren Teil der Eiswelt.
Marion spürte die am Boden festgefrorenen Steine durch die dünnen Sohlen der Schuhe und sie fror.
Trotz der großen Jacke, denn die Beine waren frei, das Gesicht ungeschützt.
Die Mädchen gingen durch diese schweigende Welt. Caroline trug den Koffer mit dem Spiegel in der rechten Hand. Die linke hielt dabei die Hand ihrer Freundin umfaßt, als wollte sie ihr Wärme geben, aber diese Haut war ebenfalls kalt.
Nach einer Weile raffte sich Marion zu einer Frage auf, die sie schon lange beschäftigte. »Warum frierst du nicht, Caro?«
»Ich kann es nicht mehr.«
»Das ist keine Erklärung«, flüsterte Marion mit zitternden Lippen. »Du mußt doch frieren.«
»Nein!«
Marion Bates sah ein, daß es keinen Sinn hatte, weitere Fragen zu diesem Thema zu stellen. Ihre neue Freundin antwortete nur, wenn sie es wollte, und Marion blieb nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, auch wenn ihr das nicht leichtfiel.
Den Hauptweg schritten sie nicht bis zum Ende durch, sondern bogen nach links ab, in einen schmaleren Weg. Die parkähnliche Landschaft ging hier über in das Gräberfeld.
Unzählige Gräber lagen vor Marion. Sie schauderte zusammen, als sie einen Blick auf die Grabsteine und die zahlreichen Kreuze warf, mit denen die Gräber geschmückt waren. Sie wollte nicht mehr daran denken, was ihr Caroline gesagt hatte und zu welchem Ziel sie unterwegs waren, der Anblick der Totenstätten lenkte sie stark ab.
Eis bedeckte Kreuze und Grabsteine, und Marion kam es so vor, als wären sie noch tiefer eingefroren als Sträucher und Bäume.
Totenstille lag über dem Friedhof. Am Himmel stand die Sonne. Ihr fahler und falscher Glanz wirkte kraftlos. Kein Tier huschte durch das
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