0954 - Die Stunde des Pfählers
übrigen Körper des Blutsaugers. Sehr dicht, so daß es einen durchgehenden Flaum bildete. Es gab keine Lücken, keine Flecken, auch keine einheitliche Farbe, obwohl das Dunkle überwog. Da mischten sich jedoch ein kräftiges Braun mit schwarzen Flecken oder Strähnen hinein. Hände gab es nicht, dafür Pranken, und bei den Füßen verhielt es sich ebenso.
Es gab da keine Nägel, sondern Krallen, die er auch bewegen konnte. Damit hakte er sich fest, wie ein Werwolf. Und Werwölfe hatten des öfteren Menschen zerrissen.
Marek dachte darüber nach, was von dieser Gestalt ausströmte. Er kam nicht darauf. Es war eine Aura, ein Flair. Es konnte das Böse überhaupt sein, ein furchtbares Erbe, das tief in ihm schlummerte. Ein Erbe hatte etwas mit der Vergangenheit zu tun, wie auch das Vampirpendel.
Der Vampirwolf hatte sich in den letzten Sekunden nicht bewegt. Er war nur darauf bedacht, die Schwankungen des Waggons auszugleichen, aber das hörte plötzlich auf, als er sich selbst einen Ruck gab und seinen Arm mit der dazugehörigen Pranke ausstreckte. Es sah für Marek so aus, als wollte er nach dem Stein schnappen, aber er zog die Pranke dann doch wieder zurück.
»Was ist los?«
Nach dieser Frage kam es dem Pfähler so vor, als wäre eine Wand zwischen ihnen eingerissen worden. Plötzlich hatte ihn der Vampirwolf verstanden, jedenfalls deutete seine Gestik darauf hin, denn er reagierte beinahe wie ein Mensch und schüttelte den Kopf.
»Zunita…«
Es war das erste Wort, das dieser Unhold ausgestoßen hatte, und Marek zeigte sich überrascht. Er hatte mit vielem gerechnet, damit jedoch nicht. Gleichzeitig aber war es der Hinweis auf die Vergangenheit, und damit hatte Frantisek auch gerechnet.
»Zunita, sagst du? Kennst du sie?«
Wieder veränderte der Vampirwolf seine Haltung. Jetzt war er auf Marek fixiert.
»Kennst du sie?«
»Zunita!«
»Das ist sie. Es ist ihr Gesicht. Zunita war eine Zigeunerin und man hat sie zugleich als Hexe angesehen. Sie gehörte zum Hofstaat des Grafen Dracula, und sie wurde auch die Schattenfrau genannt, weil sie nur in der Nacht erschien. Die einfachen Menschen in der Umgebung sahen in ihr eine Vampirin, die sich vom Blut der Menschen ernährte. Angst hatten sie vor dem Grafen. An ihn konnten sie nicht heran, dafür aber an Personen, die sich in seinem Umfeld aufhielten.. Und so fingen sie Zunita ein, errichteten einen Scheiterhaufen und verbrannten sie dort. Ein Teil der Asche war zu einem Stein verglüht, der genau das Gesicht der Hexe Zunita zeigte. Was du siehst, ist ihr Gesicht.«
Der Vampirwolf stöhnte. Er hörte sich nicht schrecklich oder wütend an, dafür eher qualvoll, als hätte er unter einer schrecklichen Not oder furchtbaren Erinnerungen zu leiden, die jetzt wieder ans Tageslicht gekommen waren.
Er quälte sich.
Marek mußte lächeln. Diese Bestie sah so aus, als wäre sie darauf bedacht, Mitleid zu erregen. Das stimmte sicherlich nicht, aber das Gesicht mit den glühenden Augen hatte ihn aus dem Konzept gebracht und ihm viel von seiner Sicherheit geraubt.
»Zunita…«
Wieder war das Wort qualvoll über seine Lippen gedrungen. Jemand, der etwas sehr Liebes verloren hatte und diesem nachtrauerte, sprach so. Als Marek dieser Gedanke kam, verfolgte er ihn gleich weiter. War es möglich, daß Zunita und der Vampirwolf einmal zusammengelebt hatten?
Diese Annahme wollte ihm nicht aus dem Kopf. Er war darüber gestolpert, aber er behielt sie im Gedächtnis. Nichts war unmöglich. Auch nicht hier in diesem alten schaukelnden Waggon, wo plötzlich Vergangenheit und Gegenwart zusammentrafen.
»Es gibt sie nicht mehr!« erklärte der Pfähler.
Die Bestie schüttelte den Kopf.
»Das habe ich doch gesagt. Es gibt sie nicht mehr…«
Wieder öffnete der Vampirwolf sein Maul. »Das Feuer - die Flammen, ich sah - die Flammen…«
»Welche?«
»Das Feuer…«
»Als man sie verbrannte?«
»Gejagt. Sie wurde gejagt. Damals, als es noch den großen Vlad gab. Die Menschen haßten ihn. Aber sie konnten ihm nichts. Sie jagten andere, auch Zunita.«
»Und dich, wie?«
»Danach.«
»Nach ihrem Tod?«
»Ich war allein. Ich brauchte Blut und Opfer. Aber zuvor…«
»Du bist mit ihr zusammengewesen, nicht wahr?«
»Wir kannten uns.«
»Aber du hast nicht gewußt, daß sie, die Verbrannte, als Stein zurückbleibt.«
»Nein!«
»Ich habe ihn. Ich kenne Zunitas Geschichte sehr gut. Und dieser Stein gehört mir.«
Diesen letzten Satz hatte der Pfähler bewußt laut
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