0962 - Der Leichenflur
mein Fuß schneller. Der Tritt erwischte ihn an der Schläfe.
Es sah so aus, als wollte er sich noch einmal aufbäumen, um der drohenden Bewußtlosigkeit zu entwischen. Das schaffte er nicht. Als Cochran auf dem Boden aufschlug, war er bereits bewußtlos. Mitten in der Bewegung war er gestoppt worden und rührte sich nicht mehr.
Ich schaute mir sein Schießeisen an. Es war eine kleine Lady-Pistole.
Das Fabrikat kannte ich nicht. Nur zweimal konnte man mit ihm schießen.
Er verschwand in der Seitentasche meiner ältesten Jacke. Dann wandte ich mich Ginny zu, die sich noch immer nicht gefangen hatte und zitternd auf der Stelle stand. Sie hatte sich nicht getraut, sich zu setzen. An der Tischkante klammerte sie sich fest. Auf ihrem Gesicht lag noch immer das Entsetzen.
Ich nickte ihr zu, kam aber nicht dazu, sie anzusprechen, denn sie flüsterte: »Jetzt bist du tot, John, so verdammt tot. Das kannst du mir glauben.«
»Nein, ich lebe.«
»Hör auf, hör auf! Sag das nicht. Ich kenne Steve, der macht dich fertig und mich auch.«
»Da habe ich noch ein Wort mitzureden.«
Ginny verdrehte die Augen. »Du kennst ihn nicht, und du hast bisher Glück gehabt, John.«
»Meinst du?«
Sie nickte heftig. Dabei setzte sie sich wieder hin. Dann zündete sie sich eine Zigarette an, paffte einige Wolken und riet mir mit bebender Stimme, aus der Wohnung und auch aus dem Haus zu verschwinden, wenn ich noch länger leben wollte.
»Schön und gut, Ginny, aber was geschieht mit dir?«
»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich komme schon zurecht, John. Ich kenne das Spiel. Ich bin sein Kapital…«
»Auf dessen Körper er die Glut der Zigaretten ausdrückt, wie?« fragte ich sarkastisch.
Sie senkte den Kopf, und es tat mir leid, die Antwort überhaupt gegeben zu haben, aber ich stand noch so unter Druck und war zudem dermaßen wütend, daß ich einfach nicht anders gekonnt hatte. Ich hörte sie leise schluchzen und wollte sie trösten, aber Ginny wehrte meine Bemühungen ab.
»Ich glaube nicht, daß du das verstehst, John. Irgendwo bin ich von ihm abhängig. Nur durch ihn bin ich an dieses Zimmer gekommen, sonst sähe es übel aus. Die Miete hier kann man ja noch bezahlen, verstehst du? Andere sind es kaum, und in die Callgirl-Ringe komme ich nicht hinein. Da lehnt man mich ab. So blieb mir nur dieser Scheißkerl.«
»Den ich dir erst mal vom Hals schaffen werde«, sagte ich.
Sie erschrak und krallte sich an mir fest. »Was hast du mit ihm vor? Willst du ihn töten?«
Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Ich werde ihn nur in seine Wohnung schleifen und ihn seinem Kumpan vor die Füße werfen. Ach ja, noch etwas. Möchtest du die kleine Pistole haben, die ich ihm abgenommen habe?«
»Nein, nur das nicht. Ich könnte wohl nicht auf einen Menschen schießen.«
»Und das Messer?«
»Auch nicht. - Nimm es mit.«
»Okay.« Ich steckte die Klinge ein und wandte mich dann dem Bewußtlosen zu, den ich am Kragen in die Höhe zerrte und wie einen leblosen Sack in Richtung Tür schleifte.
Zuerst schaute ich in den Flur hinein. Rechts und links war er menschenleer.
Selbst die Hausmeisterin hielt sich zurück. Bevor ich die Tür hinter mir schloß, drehte ich mich um. »Wir sehen uns, Ginny. Wenn du noch mal Ärger haben solltest, du weißt ja, wo ich wohne.«
Sie kiekste auf. »Ich soll in das Mordzimmer? Nein, keine zehn Pferde kriegen mich da hinein.«
Ich hob die Schultern und ging.
***
Den Zuhälter beförderte ich zu seiner Wohnung, die er mit Raver teilte.
Auf den war ich auch gespannt, aber das würde sich alles ergeben.
Mein Tritt war hart genug gewesen. Cochran befand sich noch immer im Reich der Träume. Weit hatte ich außerdem nicht zu gehen. Es war auch zu hören, wohin ich mußte, denn der Typ hatte seine Musikanlage voll aufgedreht. Anscheinend sollten alle etwas davon haben.
Das Anklopfen sparte ich mir bei dem Lärm. Die Tür war nicht verschlossen.
Ich stieß sie auf und schaute verwundert in eine dunkle Bude.
Helle Lichtblitze, farbig, durchschnitten wie Speere die Luft. Vor die Fensterscheiben war ein graues Rollo gezogen worden. Zwei Betten machten das Zimmer noch kleiner. Sie standen im rechten Winkel zueinander, und auf einem lag Raver.
Der sah nichts, er hörte nur.
Aus den Lautsprechern dröhnte der Rhythmus, und Raver bewegte sich auf dem Rücken liegend im Takt. Die Beine zuckten ebenso wie die Arme. Auch der Kopf bewegte sich. Wie ein tickender Ball schlug
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