0973 - Das verfluchte Volk
Forschergeist war er vor einigen Wochen ebenfalls mit einer Expedition aufgebrochen, um neue Pflanzen zu entdecken und Proben mit nach Frankreich zu nehmen.
Jetzt befanden sich die Franzosen auf dem Weg nach Hause. Entsprechend waren ihre Vorräte schon weitgehend aufgebraucht, doch großzügig teilten sie das, was sie hatten, mit den halb verhungerten, übel riechenden und zerlumpten Gestalten, die sie vor dem Verschmachten gerettet hatten.
»Das versteht sich doch von selbst, mon ami«, erklärte Monsieur Dupont, während wir am Feuer eine Zigarre schmauchten. »Unsere Nationen mögen nicht immer im besten Einvernehmen miteinander gewesen sein, aber schließlich repräsentieren wir beide hier die zivilisierte Welt an diesem gottverlassenen Fleckchen Erde. Da sollten wir uns nicht auch noch aufführen wie diese Heiden.«
Ich nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch unauffällig auf das verfluchte Volk zu bringen, doch Dupont winkte ab. Die Indianer sind für diesen eingebildeten Franzosen alle gleich, mordgierige Kannibalen, denen man lieber aus dem Weg geht. Von dem speziellen Stamm, dem wir auf der Spur sind, will er nie etwas gehört haben.
Doch kann ich ihm trauen? Oder sind das freundliche Getue und diese ganze Pflanzensammelei nur Tarnung? Wenn ihn die Indianer nicht interessieren, warum fragt er dann so interessiert nach unseren Erlebnissen der letzten Tage? Ist das nur freundliche Neugier - oder horcht er uns aus?
Sucht er am Ende dasselbe wie wir?
***
»Warum haben Sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen?«
Paula nippte vorsichtig an ihrem immer noch viel zu heißen Tee, den Estelle ihnen gemacht hatte. Roviras Zerberus stand in der Tür und schien die Reporterin mit ihren Blicken zu durchbohren.
»Sie waren ein erfolgreicher Wissenschaftler auf dem Höhepunkt seiner Karriere und dann, von einem Tag auf den anderen, zogen Sie sich völlig zurück. Was ist passiert?«
Rovira blickte an sich herunter auf seinen dürren, ausgemergelten Leib. »Sehen Sie mich an, ich bin nicht gerade das blühende Leben. Muss am Mensaessen liegen.«
Sein rasselndes Kichern jagte Paula immer noch Schauer über den Rücken.
»Sie haben sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen?«
»Könnte man so sagen.«
»Ihren ehemaligen Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, ist in dieser Hinsicht nichts aufgefallen.«
»Es gibt sehr tückische Krankheiten, die Sie sich in Ihren jungen Jahren noch nicht vorzustellen wagen, Señorita Vásquez. Nach außen sind Sie das blühende Leben, während Ihr Inneres schon längst verrottet ist.«
»Sie meinen Krebs?«
»Etwas in der Art«, erwiderte Rovira, doch Paula entging nicht das minimale Zögern, das der Antwort vorausging. Der Wissenschaftler hatte seinen Tee nicht angerührt. Nur ab und an verriet eine leichte Bewegung unter der dicken Decke, dass er überhaupt Hände besaß.
»Unmittelbar vor Ihrem Rückzug haben Sie sich mit einem Indianerstamm beschäftigt, den die meisten anderen Forscher für einen reinen Mythos halten. Aber viele Ureinwohner sind von seiner Existenz überzeugt. Meine Großmutter nannte ihn das verfluchte Volk.«
Roviras starrte sie entgeistert an. Unter der Decke zuckte es nervös. Als das Schweigen zwischen ihnen unerträglich wurde, brach der Wissenschaftler das Schweigen.
»Deshalb sind Sie also hier.«
»Ja.«
»Sie sollten gehen!«
»Das werde ich sicher nicht, bevor Sie mir nicht verraten, warum Sie Ihre Forschungen so plötzlich abgebrochen haben. Es gab Gerüchte, Sie hätten Beweise für Ihre These gefunden, dass das verfluchte Volk mehr ist als eine Legende. Doch das angekündigte Buch ist nie erschienen.«
»Bitte!« Die Bewegungen unter der Decke wurden so heftig, als lebte darunter eine ganze Rattenfamilie. »Lassen Sie die Finger von der Sache, Señorita Vásquez. In Ihrem eigenen Interesse, vergessen Sie, dass Sie mich je gesehen haben.«
»Also ist es wahr«, sagte Paula. »Sie haben Beweise gefunden, die so brisant sind, dass Sie sie bis heute unter Verschluss halten. Beweise für die in allen Legenden erwähnten übernatürlichen Kräfte des verfluchten Volkes.«
»Übernatürliche Kräfte? Sie sollten sich hören, Señorita Vásquez. Wir leben im 21. Jahrhundert. Sie sind eine moderne, aufgeklärte Journalistin und glauben an übernatürliche Kräfte?«
»Sie würden nicht für möglich halten, was ich inzwischen glaube«, erwiderte Paula. »Indianer mit ein paar Zaubertricks sind da noch das Geringste.«
Der
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