0973 - Das verfluchte Volk
erschreckender Klarheit, worauf er hinauswollte.
Trotzdem fragte ich beklommen: »Was schlägst du vor?«
Der Pockennarbige schenkte mir ein böses Grinsen, das mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen wird. »Lassen Sie mich nur machen, Señor. Es ist besser, wenn Sie sich nicht damit belasten.«
Oh Gott, wie hatte ich mich nur auf Gedeih und Verderb diesem Tier ausliefern können? Mir verschlug es vor Entsetzen die Sprache. Ich dachte an Humboldt, und was er von mir denken würde, könnte er mich jetzt sehen, wie ich mit diesem Ungeheuer in Menschengestalt einen feigen Mordplan schmiedete. Doch was wusste er schon, dieser große Humanist? Er war schließlich nicht hier und kämpfte um sein Leben! Und war es überhaupt Mord -und nicht schlichte Notwehr? Konnte ich zulassen, dass dieser feine Monsieur Dupont unsere Geheimnisse mit in seine geliebte Zivilisation zurücknahm, während wir hier elendig zugrunde gingen? War er es nicht, der uns hier unserem Schicksal überließ, nachdem er uns zuvor nach allen Regeln der Kunst ausgehorcht hatte?
Doch da hatte er sich den Falschen ausgesucht! Er würde das verfluchte Volk nicht vor uns finden!
Sprechen konnte ich nicht, also nickte ich Paco nur stumm zu. Ein mörderisches Grinsen huschte über das Gesicht des Halsabschneiders, dann gab er seinen Spießgesellen einen Wink und verschwand mit ihnen im endlosen Grün. Ein, zwei Minuten geschah nichts. Dann zerrissen entsetzliche Schreie die Stille. Vögel stoben auf und flohen vor dem gottlosen Massaker, das sich weit unter ihnen abspielte. Ich stand starr vor Schreck in unserem Lager, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren, während Dupont und seine Begleiter die Bestien, die über sie herfielen, bei der heiligen Muttergottes um Gnade anfiehten.
Die schrillen Todesschreie gellen immer noch in meinen Ohren. Doch so sehr ich mich schäme, das einzugestehen, das ist noch lange nicht das Schlimmste.
Nein, der Schauer der Erregung, den ich verspürte, als Paco und seine Meuchelmörder ihren animalischen Trieben freien Lauf ließen, ist das Schlimmste.
Was ist nur aus mir geworden?
***
»Sagt Ihnen der Name Friedrich Dörfler etwas?«, fragte Rovira.
Paula dachte einen kurzen Augenblick nach und schüttelte dann den Kopf. »Nie gehört.«
Der Ethnologe verzog die schmalen Lippen zu einem schmalen Grinsen. »Wundert mich nicht. Ein windiger Glücksritter, den es Anfang des 19. Jahrhunderts nach Kolumbien verschlagen hat, wo er recht schnell einen unrühmlichen Tod fand. War ein Zeitgenosse des berühmten Alexander von Humboldt, den er flüchtig kannte. Er selbst hatte nicht ganz so viel Erfolg. Meines Wissens haben ihn selbst seine deutschen Landsleute längst vergessen.«
»Aber Sie nicht.«
Rovira kicherte. »Ich hatte von dem Kerl noch nie etwas gehört. Aber irgendwann wurde der Universität aus einer mehr als dubiosen Quelle sein Nachlass angeboten. Offenbar hatte jemand auf dem Dachboden eine eingestaubte Kiste mit seinem Tagebuch, einem Brief an Humboldt und einem obskuren, zerbrochenen indianischen Artefakt gefunden und versucht, sie zu Geld zu machen. Das Zeug wurde auf dem grauen Markt ein bisschen hin und hergeschoben, eigentlich interessierte sich keiner dafür. Bis jemand auf die Idee kam, überhaupt mal in das Tagebuch hineinzugucken.«
»Dörfler hat das verfluchte Volk entdeckt!«, stieß Paula atemlos hervor.
Ihr Gegenüber lächelte. »Zumindest meinte jemand, der von meinen Forschungen in dieser Richtung gehört hatte, ich hätte vielleicht Interesse an dem alten Plunder. Da das Zeug sonst niemand wollte, hat die Universität die Kiste für einen Appel und ein Ei gekriegt.«
»Ein echter Glücksfall.«
»Nicht unbedingt, Señorita Vásquez. Aber das wusste ich damals noch nicht. Ich war einfach nur außer mir vor Freude, einen echten Beweis für die Existenz des verfluchten Volkes in Händen zu halten. Meine Forschungen waren in eine Sackgasse geraten und meine Kollegen hielten mich längst für einen Sonderling. Sie müssen sich mein Entsetzen vorstellen, als ich das Tagebuch dann tatsächlich las. Die reinste Räuberpistole, gespickt mit aberwitzigen Beschreibungen von monströsen Morden, blutigen Ritualen und entfesselten magischen Kräften. Ich war zwar überzeugt von der Existenz des verfluchten Volkes, die Geschichten über ihre angeblichen übernatürlichen Fähigkeiten hatte ich aber immer ins Reich der Legenden verwiesen. Und jetzt musste ich feststellen, dass mein angeblicher Beweis
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