0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
werden nicht nur Freundinnen im Fleische sein, sondern auch Freundinnen im Geiste.« Cocos Augen waren jetzt dicht vor ihr. Sie erinnerten Jane an geheimnisvolle Laternen, die im Hintergrund angezündet worden waren und die dunklen Pupillen umgaben.
»Was habe ich denn?«
Coco legte Jane eine Handfläche gegen die linke Halsseite. Das Metall der Totenkopfringe war deutlich zu spüren. »Du hast die Kraft in dir. Die alte Hexenkraft. In dir brennt eine Flamme.« Coco war außer sich. Sie atmete schwer und schüttelte den Kopf. »Nicht viele haben dies, aber diejenigen, die es in sich haben, gehören zum engeren Zirkel, verstehst du das? Sie hatten schon Kontakt zum großen Höllenfürsten.«
Jane gab keine Antwort. Dieses Schweigen machte Coco nur noch nervöser. »Ist es so gewesen, Jane? Du kannst es ruhig zugeben. Du bist dann die Fürstin.«
»Und wenn es so wäre?«
»Dann bist du hier genau richtig. So etwas wie dich habe ich gesucht. Der große Plan muß funktionieren, Jane, und ich weiß jetzt, daß ich nicht mehr allein stehe.«
»Welcher Plan?«
Coco legte den langen, ausgestreckten Zeigefinger gegen ihre violett geschminkten Lippen. »Noch bist du nicht lange genug bei uns, um eingeweiht zu werden. Das wird sich ändern.«
»Wann denn?« fragte Jane. »Morgen, übermorgen? Oder erst in einer Woche oder einem Monat?«
Coco lachte sie zischelnd an. Ihr Atem roch irgendwo verbraucht, aber auch nach Pfefferminz.
»Keine Sorge, noch in dieser Nacht wirst du zu den Eingeweihten zählen.«
»Das hoffe ich auch.«
»Nein, nein«, flüsterte Coco, »das ist einfach nicht zu fassen. Ich werde bald irre. Es ist etwas Wunderbares, dich hier zu sehen. Du bist wie eine Botin aus dem anderen Reich, Jane.«
»Das hat sie auch gesagt.«
Sofort war bei Coco die Spannung wieder da. »Wer ist sie? Von wem sprichst du? Etwa von…?«
»Sag es!«
»Nein, Jane, sag du es.«
»Ich meine Charlotte, eine Freundin, eine Bekannte, ebenfalls eine Wissende.«
Jetzt war es heraus, und Jane wartete auf Cocos Reaktion, die zunächst einmal nicht erfolgte. Sie trat wieder auf ihrer Nähe zurück und nickte ihr zu. »Ja, Charlotte«, sagte sie. »Die schöne Charlotte. Wir haben sie unseren Engel genannt. Sie ist hin und wieder bei uns erschienen, und sie war etwas Besonderes. Einige Male hatte sie sogar Blut an ihren Händen und an der Kleidung. Da haben wir dann gewußt, daß sie in unserem Sinne handelte.«
»Wie meinst du das denn?«
»Weißt du es nicht?«
Jane hatte den mißtrauischen Unterton sehr wohl vernommen. Sie schärfte sich jetzt ein, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, bevor sie es aussprach. »Nun ja«, sagte sie etwas gedehnt und wich Cocos lauerndem Blick dabei aus. »Charlotte hat hin und wieder etwas erwähnt, wie sie die Falle gestellt hat. Sie mochte ja diejenigen Heuchler nicht, die sie besuchten. Du verstehst?« Jane war heilfroh, daß sie von John Sinclair die ganze Wahrheit erfahren hatte.
Coco wartete noch ab. Der Mund mit den dicken Lippen verzog sich zu einem wissenden Lächeln.
»Du bist vorsichtig, nicht wahr?«
»Muß man das nicht sein?«
»Doch.«
»Eben.«
»Aber mir kannst du vertrauen, Jane.«
»Das tue ich auch. Doch vertraust du auch mir, Coco?«
Die Angesprochene schloß die Augen und nickte. »Jetzt schon. Zuerst habe ich nur auf mein Gefühl geachtet, nun aber habe ich aus deinen Andeutungen entnommen, daß du eine Wissende bist. Ich liebe das. Ich mag es, wenn man viel weiß und den anderen überlegen ist. Das sind wir, und wir werden es bald alle hier sein.«
»Wie viele sind denn hier?«
»Keine Sorge, du wirst sie sehen.«
»Außerdem habe ich Durst«, beschwerte sich Jane.
»Wir gehen.« Coco nickte. Sie hakte Jane unter wie ein beste Freundin und preßte ihren Körper gegen den der Detektivin, die sich zunächst nicht wehrte. Sie würde das Spiel mitmachen, denn diese Hexen-Disco hatte sich als brandheiße Spur erwiesen. Hier kannte man die schöne Charlotte, sie gehörte zu den Gästen und auch zu den Wissenden, wie Jane gesagt worden war.
Vor dem Vorhang blieb Coco für einen Moment stehen. Dann fand sie mit zielsicherem Griff die Mittelfalte und schob ihn auseinander. »So, Jane, tritt ein.«
Das tat sie.
Und vor ihr breitete sich eine andere Welt aus…
***
Die Musik war leiser gestellt worden. Sie bildete einen akustischen Hintergrund und war nur bei genauem Hinhören wahrzunehmen. Auch Jane interessierte sich nicht dafür, denn ihre Blicke waren
Weitere Kostenlose Bücher