0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
deshalb fragte er mich.
Ich winkte ab. »Einzelheiten werde ich Ihnen nicht nennen, Mr. Stone. Das müssen Sie verstehen.«
»Ist sie denn tot?« hauchte er mir entgegen.
»Ja, das ist sie.« Ich hatte keinen Grund gesehen, ihm eine Lüge aufzutischen.
»Gott!« flüsterte er und drehte sich weg. Zum Glück wollte er nicht wissen, wie die Frau ums Leben gekommen war. Er stützte sich an der Wand ab und schüttelte den Kopf.
Eigentlich hätte ich das Haus verlassen können, aber mir fiel plötzlich ein, daß dieser Mann nicht zufällig im Flur gestanden hatte. Er mußte auf mich gewartet haben, und dafür gab es auch einen Grund. »Wollten Sie mich noch sprechen?« erkundigte ich mich, als er sich etwas von seinem Schrecken erholt hatte.
»Ja, das hatte ich vor.«
»Gut, ich höre.«
Mit einem Papiertaschentuch tupfte er durch sein Gesicht und schaute dabei zu Boden. »Wissen Sie, Mr. Sinclair, ich hatte ja Zeit genug, um über unser Gespräch nachdenken zu können. Außerdem war ich so durcheinander, daß ich meine Arbeit einfach nicht mehr fortführen konnte.«
»Das verstehe ich.«
»Dabei fiel mir ein, daß Sie verdammt wenig über diese Charlotte wußten.«
»Stimmt auch.«
»Ich habe mich zwar nicht oft mit ihr unterhalten, hin und wieder aber schon. Über belanglose Dinge. Komischerweise ist dabei etwas in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Ich weiß natürlich nicht, ob es Ihnen weiterhilft, aber…«
»Versuchen Sie es, Mr. Stone.«
»Gut.« Er nickte. »Wir sprachen mal so über das Leben oder über den Spaß, den man als junger Mensch haben kann. Da redeten wir dann auch automatisch über Discos, und ich erfuhr von Charlotte, daß sie eine bestimmte Disco bevorzugt.«
»Das ist interessant. Welche denn?«
»Das ist das Problem, Mr. Sinclair. Ich hatte den Namen vergessen.« Er bewegte seine Hände ruckend. »Aber ich habe mich dann hingesetzt und nachgedacht. So ein richtiges Brainstorming, und da ist mir der Name wieder eingefallen.«
»Wunderbar. Wie heißt er?«
»Whitchcraft!«
»Hexenkraft?«
»Genau.«
Ich pfiff durch die Zähne. »Das ist mehr, als man erwarten kann.«
Er lächelte kantig. »Aber die Adresse dieser Disco weiß ich wirklich nicht.«
»Hat Charlotte noch mehr darüber erzählt?«
»Nein, eigentlich nicht. Nur, daß die Disco ein sogenannter In-Laden ist. Sie wissen vielleicht selbst, wie schnell die Szene wechselt. Heute sind die Techno-Fabriken in, morgen stehen sie leer. Kann auch bei dieser Disco so gewesen sein.«
»Das werde ich herausfinden, Mr. Stone.« Ich klopfte dem Mann auf die Schulter. »Zwar bin ich kein Hellseher, aber ich kann mir schon vorstellen, daß Sie uns durch Ihre Aussagen ein großes Stück weitergebracht haben.«
»Meinen Sie?« fragte er verlegen und noch immer leicht verunsichert.
»Es wird sich herausstellen.«
»Das hoffe ich«, flüsterte Stone. »Wissen Sie, für mich sind Menschen wie Doreen und Charlotte eben auch Menschen und keine Geschöpfe, auf die man nur herabblickt, sie aber trotzdem benutzt.«
»Alles klar.« Ich bedankte mich noch einmal bei ihm, dann verließ ich das Haus.
Vom Wagen aus rief ich bei Sarah Goldwyn an, um meinen Besuch anzukündigen. Jane war im Haus, wie ich erfuhr. Als ich nach ihr gefragt hatte, da wurde die Horror-Oma sofort neugierig.
»Gibt es Ärger, John?«
»Nein, der ist schon da…« Ich beendete das Gespräch und startete.
***
Einen Parkplatz hatte ich nahe des Hauses gefunden, was auch nicht immer der Fall war, und so mußte ich nur einige Schritte laufen, um das Haus zu erreichen.
Lady Sarah wohnte in Mayfair, wo London schön, aber auch teuer ist. Hier gab es noch hohe Laubbäume, die den Abgasen getrotzt hatten und die Atemluft ein wenig verbesserten.
Sie schützten auch vor den Strahlen der Sonne, die sich an diesem Tag nur schüchtern durch die ansonsten graue Wolkendecke wagten und kaum zu bemerken waren. Aber die Decke sollte noch im Laufe des Tages aufreißen, was mir persönlich egal war, denn dieser Fall zerrte bei jedem Wetter an meinen Nerven. Es ging verdammt tief, das stand fest, und ich spürte auf dem Rücken ein kaltes Kribbeln.
Lady Sarahs Vorgarten sah wie immer gepflegt aus. Hinzu kamen auch die frischen Sommerblumen, die zahlreichen Bienen und Wespen durch ihren Blütenstaub Nahrung boten.
Man hatte mich bereits gesehen, die Haustür geöffnet, und ich wurde von zwei unterschiedlich aussehenden Frauen erwartet, die sich trotz der Altersdifferenz aber gut
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