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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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Berlin, 8. Mai, 22.18 Uhr
    Der Regen lief ihr über das Gesicht, ihre federnden, schnellen Schritte knatschten auf dem nassen Asphalt und ihr verschwitztes T-Shirt klebte an ihrem Rücken wie eine zweite Haut. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als Lena Peters vom Joggen zurückkam und vor ihrer Haustür in der Boxhagener Straße angelangt war. Außer Atem stützte sie sich auf ihren Knien ab und verschnaufte kurz. Mit den Gedanken bereits bei der morgigen Besprechung, zog Lena ihren Hausschlüssel aus der Trainingshose und lief durch den Innenhof, in den lediglich das schwache Licht umliegender Wohnungen fiel. Nur wenige Meter vor ihrer Erdgeschosswohnung blieb sie abrupt stehen. Ein Mann im Anorak stand vor ihrem Schlafzimmerfenster.
    Was zum Teufel …! Lenas Puls begann zu rasen. Zögerlich trat sie näher und beobachtete, wie der Mann den beleuchteten Raum auskundschaftete. Er stieg über die Terrakottakübel in die kleine, unbepflanzte Parzelle hinter der Wohnung, die nach Angaben der Maklerin einen Garten darstellen sollte. Der Mann näherte sich der Terrasse. Kurz überlegte Lena, die Polizei zu alarmieren, entschied aber, die Sache auf ihre Weise zu regeln.
    So, wie sie bisher immer alles alleine geregelt hatte.
    Vorsichtig griff sie den kleinen Spaten, der neben dem Sandkasten an der Hauswand lehnte, und schlich sich langsam von hinten an. Der Mann schien sie noch immer nicht bemerkt zu haben, obwohl Lena jetzt dicht hinter ihm war, denn er war kurz davor, seine Hand in den Spalt der gekippten Verandatür gleiten zu lassen. Lena holte zum Schlag aus, als der Mann sich in derselben Sekunde umwandte und ihn die flache Seite des Spatens gradewegs im Gesicht traf, während Lena schrie: »Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei!«
    Der Mann torkelte nach hinten, hielt sich ächzend vor Schmerz die Hände vor das Gesicht und ging rücklings zu Boden.
    »Verdammt, sind Sie vollkommen wahnsinnig?!«, fuhr er Lena wütend an und hielt sich die blutige Nase. »Ich bin die Polizei!«
    In diesem Moment fiel Lena auf, dass sie den Mann kannte.
    »Herr Drescher? Volker Drescher?« Entsetzt ließ Lena den Spaten fallen und machte einen Schritt auf den Mann zu. Doch anstelle des stattlichen Kriminalisten, dessen sonnengebräuntes Gesicht sie aus zahlreichen Fernsehinterviews kannte, blickte unter der Kapuze des Anoraks ein schmächtiger Mann, Mitte vierzig, mit eingefallenen Zügen und spitzem Kinn hervor. Als er sich aufrichtete, war er kaum einen Kopf größer als Lena.
    »Um Himmels willen! Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie hier …«
    Drescher lehnte ächzend an der Hauswand und rückte seine Brille zurecht, ehe er verärgert aufsah. Verblüfft sah er Lena an. »Für eine Frau Ihrer Statur schlagen Sie aber ordentlich zu!«
    Lena wusste, dass man ihr nicht viel Kraft zutraute, und war über seine Reaktion keineswegs überrascht. »Darf ich fragen, was Sie hier in meinem Garten zu suchen haben?«
    »Ich habe geklingelt, aber es hat niemand geöffnet. Und als ich sah, dass Licht brannte …«
    »Ich lösche das Licht nie, wenn ich das Haus verlasse.«
    Drescher schaute sie überrascht an, sagte aber nichts.
    »Ihre Nase, ist die gebrochen?«, fragte Lena ehrlich besorgt.
    Er tastete seinen Nasenrücken ab und verneinte.
    Lena streckte ihm ihre Hand entgegen und wartete darauf, dass er sie ergriff. Doch Drescher schlug ihre helfende Hand aus. Lena sah zu, wie er sich aufraffte und sich den Schmutz vom Anorak strich. »Kommen Sie, ich gebe Ihnen ein Pflaster«, sagte sie schnell. Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte Lena sich um und schloss die Wohnungstür auf.
    Mist! Mist! Mist! Musste sie ausgerechnet ihren neuen Chef niederschlagen! »Und wenn Sie wollen, auch einen Whisky, das hilft gegen die Schmerzen«, fügte sie hinzu und wartete darauf, dass Drescher ihr folgte.
    Die rund sechzig Quadratmeter große Altbauwohnung, für die Lena sich in erster Linie wegen der günstigen Miete entschieden hatte, war unrenoviert und konnte einen neuen Anstrich vertragen. Gleich neben der Eingangstür befand sich die Küche. Dahinter ein kleines Esszimmer, das an das Wohnzimmer grenzte. Am Ende des langen Flurs lagen Lenas Schlafzimmer, das Bad und ein winziger Raum, den sie als Arbeitszimmer nutzte. Bis auf ein paar Möbel gab es hier nicht den allerkleinsten Hinweis auf ein Privatleben. Keinerlei Familienfotos, Postkarten oder Souvenirs vergangener Urlaube. Nichts, was an ihre Vergangenheit erinnern

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