0978 - So jagten wir Shimada
mich, weshalb wir sein Gesicht hier im Kloster sahen. Das paßte einfach nicht zu den Mönchen, die sicherlich nicht auf der Seite des Samurais gestanden hatten.
»Das ist er, nicht?« fragte Gazza leise.
Wir nickten nur.
»Und wie kommt sein Abbild in dieses Kloster?«
»Da müßten wir ihn schon selbst fragen«, erwiderte Suko, »aber das wird nicht so einfach sein.«
»Sie haben es gemalt. Sie haben ihren Götzen hinterlassen, und sie sind gestorben«, flüsterte der Japaner. »Ich sehe darin keinen Sinn, tut mir leid. Aber vielleicht denke ich auch zu modern und muß mich wieder mit den Lehren der Götter beschäftigen.«
Ich kümmerte mich nicht um seine Worte, sondern ging auf die Wand zu. Vor der niedrigen Altarbank blieb ich stehen. Das Gesicht war gewachsen, weil ich es jetzt aus eine anderen Perspektive sah, aber ich konzentrierte mich zunächst nur auf die Augen, deren kaltes Blau wie Spiegelscherben wirkte.
Sie blieben starr. Sie lebten nicht. Und trotzdem überkam mich der Eindruck, daß tief in den Pupillenschächten etwas vorhanden war, mit dem wir mit normalen Maßstäben nicht Schritt halten konnten. Etwas Unheimliches. Ein unterdrücktes Leben. Eingepackt in Warte- oder Lauerstellung.
Er beobachtete uns!
Ich wurde mutiger und stieg über die Betbank hinweg, bis ich direkt vor der Wand stand. Um die Augen zu erreichen, mußte ich den Arm schon in die Höhe drücken, und mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger punktete ich haargenau in das rechte Auge.
Der Widerstand war da. Der Widerstand der kalten Wand. Mit dem Finger drückte ich kein Auge nach innen, auch als ich den Druck dabei vergrößerte.
Es war nur ein Gemälde, ein Abbild.
Suko sprach mich an. »Spürst du was, John?«
»Nein.«
»Also kein Eingang zu seiner Dimension?«
Ich hob die Schultern. »Das mag möglich sein, aber besitzen wir die Mittel, um dieses Tor zu öffnen? Mein Kreuz kannst du vergessen. Das Problem muß anders angepackt werden.«
»Wie denn?« fragte Gazza.
»Ich weiß es noch nicht.« Mit einem Schritt rückwärts stieg ich wieder über die Bank hinweg.
Gazza schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Kenner der japanischen Götterwelt, ich habe mich als junger Mensch da immer rausgehalten, aber ich weiß eines: Was ich hier sehe, das paßt einfach nicht zusammen, Freunde. Das geht mir gegen den Strich. Der Tod der Mönche, Shimadas Abbild, hier steht die Welt kopf. Was ist hier vorgegangen?«
Wir wußten es auch nicht. Und ich sagte: »Der Zeuge hätte mehr reden müssen.«
»Es war nicht möglich. Es kam schon einem Wunder gleich, daß er überlebte.«
»Aber er sprach von der blonden Frau«, sagte Suko.
»Das stimmt.«
»Die hier im Kloster steckt und sich wahrscheinlich noch versteckt hält. Wir kennen nicht alles. Nur wundere ich mich, daß Mönche die Frau aufgenommen haben. Das ist nicht üblich. Ich weiß das, denn ich habe selbst einige Jahre in einem Kloster verbracht.«
Gazza schüttelte den Kopf und murmelte: »Nein, üblich ist es nicht, das stimmt schon, aber man hat aus bestimmten Gründen eine Ausnahme gemacht, wie ich mich wieder erinnere. Dieser Überlebende hat noch hinzugefügt, daß die Frau in das Kloster gebracht worden ist, damit sie den nötigen Schutz erhält.«
»Schutz?« fragte ich. »Vor wem?«
Gazza gab sich zerknirscht. »Auch das weiß ich nicht. Es ist alles irgendwie nicht richtig gelaufen. Der Mann hat nur Wortfetzen von sich gegeben. Er hätte gar nichts sagen können, wäre er von uns nicht mit Hilfe bestimmter Medikamente dahin geführt worden. Es hat sich leider nicht so entwickelt, wie wir es gern gehabt hätten, aber darauf können Sie mir keinen Vorwurf machen.«
»Sicher, das denke ich auch.«
»Jedenfalls werden wir weiter nach ihr suchen müssen«, sagte Suko. Er schaute sich nach einem Ausgang um, denn eine Treppe gab es hier nicht. Dafür eine Tür, die so versteckt im Schatten der Decke lag, daß man sie leicht übersehen konnte.
Suko öffnete sie und winkte uns zu. »Hier geht es weiter. Hier kommen wir auch hoch.«
»Dann los!«
Die Treppe war schmal, aus rohen Steinen errichtet, und irgendwo über uns mußte es eine Öffnung im Mauerwerk geben, durch die der Wind zog und in unsere Gesichter blies.
Wir befanden uns in einem engen Treppenhaus. Dementsprechend schmal waren auch die Stufen.
Über uns fiel Licht durch zwei Öffnungen im Mauerwerk. Wir konnten wieder den Himmel sehen.
Von seinen Leuten hatte Gazza noch keine Nachricht erhalten,
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