Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dämonenherz

Dämonenherz

Titel: Dämonenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Talbot
Vom Netzwerk:
1 .
    A nna Sternberg wusste nicht, warum im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch Kopfsteinpflaster existierte. Gerade war sie zum dritten Mal mit dem Absatz ihrer Pumps in eine hinterhältige Ritze gerutscht. Der Schuh blieb stecken, und während sie verzweifelt an ihm zerrte und schließlich halb barfuß in der Kälte eines Herbstmorgens stand, versuchte sie, die aufsteigende Wut in genügend Kraft zu kanalisieren, um ihn herauszuziehen. Dabei riss die Feinstrumpfhose, und eine unübersehbare Laufmasche kroch mit dem bekannten zarten Kribbeln erst über das linke Schienbein und dann das Knie nach oben.
    Sie unterdrückte einen Fluch, den man sich in dieser Ecke der Stadt nicht öffentlich genehmigte. Eine Haarklammer löste sich, die ganze mühsam aufgebauschte Frisur fiel in sich zusammen. Anna warf einen hastigen Blick auf ihre Armbanduhr. Drei Minuten vor zehn. Sie würde zu spät kommen. Sie hatte es den ganzen Weg über gewusst. Erst war ihr der Bus vor der Nase davongefahren, dann hatte sie sich in der Richtung geirrt, und jetzt stand sie da, unvollständig, halbbeschuht, mit zerrissenen Strümpfen und verwehter Frisur, und begann ernsthaft zu überlegen, mit welcher plötzlichen Krankheit man die Präsentation eines PR-Konzeptes noch verschieben könnte.
    Noch einmal ging sie in die Knie, packte den Schuh und stemmte sich mit aller Kraft hoch. Ein Ruck, der Absatz blieb im Pflaster, denkläglichen Rest hielt sie in der Hand. Sie zählte langsam von eins bis zehn, atmete tief durch und sah sich um.
    In dieses Viertel von Wiesbaden verschlug es Anna selten. Denn hier, in den schmalen Seitengassen hinter den großen Modeboutiquen und Einkaufspassagen, lagen die wirklich luxuriösen Geschäfte: Antiquitäten, Maßschneider, Designermöbel und Galerien. Dezente Auslagen, viel Chrom und Messing, indirektes Licht und – der Gipfel des Understatements – kein Hinweis darauf, wie das jeweilige Geschäft eigentlich hieß.
    Vermutlich wurde die illustre Kundschaft sowieso per Limousine von zu Hause abgeholt und zwecks Schonung der Absätze direkt vor die Tür gefahren. Rote Teppiche bekamen plötzlich in Annas Augen eine ganz neue Daseinsberechtigung. Sie zerknüllte ihren Busfahrschein und beförderte ihn mit einem kleinen Kick ihres unbeschuhten Fußes in den nächsten Gully. Dann stellte sie fest, dass sie den Zettel mit der genauen Adresse soeben mit entsorgt hatte.
    Typisch. Erst denken, dann handeln. Du lernst es nie.
    Sie schlüpfte in den Schuhtorso und trat, halb hüpfend, halb humpelnd, in die Mitte der menschenleeren Straße. Irgendwo musste sie sein, die Galerie ihrer einstigen Klassenkameradin Sandy, die sich jetzt Sandrine nannte und in deren Leben sich außer dem Namen wohl noch einiges mehr geändert hatte.
    Sandrine Beaufort. Anna erinnerte sich vage an die schüchterne Bewunderung, die sie diesem bildschönen Wesen damals entgegengebracht hatte. Allen in der Klasse war es so gegangen, als Sandy, wie sie von allen genannt wurde, im letzten Schuljahr dazugekommen war. Mitten im Winter war es gewesen. Sie war hereingeweht wie ein Schneeflocke, ein Wesen von einem anderen Stern, das keine Gelegenheit ausließ, sein Anderssein auch noch zu betonen. Schon bald war Annas Anbetung in Ratlosigkeit und schließlich sogar Abneigung umgeschlagen. Sandy war ein Miststück. Sie hatte alle und jeden gegeneinander aufgehetzt, Freundschaften zerstört und sämtlichen Jungen den Kopf verdreht. Waren Annas Erinnerungen an ihre Schulzeit bis zu diesemletzten Jahr noch von einer fast unschuldigen Langeweile geprägt, so hatte Sandy sie in ein einziges Ärgernis umgemünzt. Die schriftliche Mathe-Klausur hatte Anna sogar nachholen müssen. Der Vorwurf: Sie hätte von Sandy abgeschrieben. Dabei war es genau umgekehrt gewesen.
    Das war fünfzehn Jahre her. Sandy hatte in Amerika ihr Glück gemacht, war reich und berühmt, wieder in der Stadt, und hatte Anna mit glockenheller Stimme angerufen und um dieses Treffen gebeten – natürlich von jetzt auf gleich. Und sie hatte ihr diese einmalige, wunderbare, unwiderstehliche Chance wie eine Möhre unter die Nase gehalten.
    Und ich bin der Esel, der wieder mal springt, dachte Anna. Sie wird zwar immer noch ein Miststück sein, aber diesmal ein zahlendes. Also sei nicht kindisch.
    Irgendwo schlug eine Turmglocke zehn Mal und holte sie unsanft in die Gegenwart zurück. Sie widerstand dem Verlangen, gleich auf der Stelle umzukehren und zurück in ihr Büro zu gehen.
    Anna ging

Weitere Kostenlose Bücher