0980 - Die Rächerin
schlichtweg nur ein Einwegspiegel. Von draußen einsehbar, von der anderen Seite nicht. Ich sah nicht, wer an dem Harem vorbeirollte.
Dafür sah ich die Spiegel. Sie standen so zueinander, dass dieser Raum viel größer wirkte. Ihre glänzenden Flächen machten ihn praktisch zu einem hellen Gewölbe. Das Licht sickerte aus Deckenlampen hinab. Es streute über die hier aufgebauten Gegenstände und erwischte natürlich auch die Puppen.
Aus den im Boden versteckten Düsen strömte die Luft, die dann manches Gesichtstuch in die Höhe wehte, damit der Zuschauer die verwesten oder zerfressenen Gesiebter der Puppen sehen konnte.
Sie waren sehr gut nachgebildet worden.
Mir musste es in diesem Fall egal sein, ob man mich von draußen sah oder nicht. Meine Aufgabe bestand einzig und allein darin, Shao zu befreien. Jede Sekunde, die sie länger in dieser unwürdigen und unmöglichen Haltung verbrachte, vergrößerte auch ihre Qualen.
Jemand musste sie dort hingehängt haben. Nur sah ich niemand.
Keine Ninja-Kämpferin ging mit dem Schwert auf mich los. Ich kam mir wirklich mutterseelenallein vor, obwohl ich das nicht war. Sie waren in der Nähe, aber sie ließen mich in Ruhe.
Der Boden bestand aus Holz, über das ein dünner Teppich gespannt worden war. Mir kam es zugute, denn der Teppich dämpfte die Schritte. Ich konnte mich fast lautlos durch den Harem bewegen.
Ich passierte dabei die Figuren, schleifte zweimal mit dem rechten Fuß an den Kissen entlang. Das große, diwanähnliche Bett, interessierte mich nicht. Dafür wandte ich mich nach links, denn dort hing Shao in ihrer menschenunwürdigen Lage.
Ich sah sie.
Mit dem Anblick hatte ich natürlich rechnen müssen. Aber jetzt, als ich Shao in greifbarer Nähe sah, durchfuhr mich schon der heiße Schreck, und ich spürte den Schweiß auf der Oberlippe.
Niemand griff mich an. Ich war mit Shao allein.
Trotzdem bewegte ich mich vorsichtig auf sie zu. Ich achtete auf jedes Geräusch. Ich hörte die Wagen draußen vorbeifahren, aber ich sah sie nicht. Die Insassen mussten aber mich sehen. Sie würden glauben, mein Eindringen gehörte zu dieser gesamten Szene.
Ein fremdes Geräusch drang trotzdem an meine Ohren und es beruhigte mich sogar. Atmen? Nein, Keuchen. Schwer und ächzend.
Es gab nur eine Lösung: Ich hörte Shao.
Ob Shao mich erkannt hatte, wusste ich nicht. Jedenfalls ging ich zu ihr, blieb neben ihr stehen, und sie zuckte leicht zusammen, als ich sie anfasste.
»Okay, Shao, ich bin es.«
Jetzt hatte sie mich erkannt. Sie wollte auch meinen Namen sagen, aber was sie hervorwürgte, war kaum zu verstehen. Als hätte sie tief in ihrer Kehle gegurgelt.
Ich kniete mich hin. Ich musste einfach ihr Gesicht sehen. Der Anblick sollte ihr Hoffnung geben. Dieser positive Kick war nötig, damit sie wusste, dass sie nicht mehr allein war.
Leider hielt das Schicksal eine andere Kapriole für mich bereit.
Plötzlich hörte ich etwas. Ich kniete noch nicht ganz, es war auch gut so. Im Stehen bewegte ich mich schneller, fuhr herum und erstarrte nicht, wie es eigentlich auch hätte sein können.
Ich war darauf vorbereitet gewesen, aber dass die Ninja-Kämpferinnen zu viert vor mir standen, war schon ein wenig viel.
Keine von ihnen war unbewaffnet…
Ein seltsamerweise lustiger Gedanke durchfuhr mich, denn ich dachte daran, was die Besucher wohl über die Szene hier denken würden, wenn sie an der Scheibe vorbeirollten. Der Gedanke verflüchtigte sich so schnell, wie er aufgekommen war, denn die vier Frauen wirkten wie aus einem Action-Film.
Leider waren sie Wirklichkeit. Und wieder einmal übertraf die Realität den Film.
Hinter mir hing Shao. Ich hörte sie leise jammern und stöhnen.
Aber wenn ich versuchte, sie aus ihrer Lage zu befreien und den Frauen in der dunklen Kampfkleidung dabei den Rücken zudrehte, war ich geliefert. Das wusste ich. Man hatte mich köpfen wollen, und man würde es immer wieder versuchen.
Locker, risikolos…
Die vier Kämpferinnen hatten sich vor mir aufgebaut. Sie trugen auch nicht ihre Köpfe umwickelt, wie es bei Shimada der Fall gewesen war, sie präsentierten ihre Gesichter frei, und alle trugen die Haare streichholzkurz.
Die Klingen waren schmal und leicht gebogen. Sie wurden jeweils von zwei Händen gehalten, aber die Frauen machten auf mich den Eindruck, dass sie mit ihren Waffen perfekt und spielerisch umgehen konnten. Sie hatten bereits die Kampfhaltung eingenommen.
Wieder fiel mir Suko ein. Für einen Moment sah ich
Weitere Kostenlose Bücher