Engelsgrab
Kapitel 1
Ihr war übel, so richtig übel.
Sie stöhnte, als sich vor ihr alles zu drehen begann.
»Oh verdammt!«, murmelte sie, als sie das Gleichgewicht verlor und auf allen vieren landete.
Zitternd wartete sie darauf, dass sich der Brechreiz legte.
Als sie schließlich merkte, sie würde sich doch nicht übergeben, strich sie sich das lange blonde Haar aus dem Gesicht und schaute sich suchend um. Aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Da waren nur der Schutt und die halb verfallenen Mauern des verlassenen Bauernhofs. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie allein war.
»Du mieses Schwein!«, rief sie aufgebracht, weil er sie einfach hier am Ende der Welt zurückgelassen hatte.
Sie wartete auf die Antwort, die nicht kam. Als hätten sie sich gegen sie verschworen, raschelten die Zweige der Büsche und knarrten die Äste der Bäume ringsum, wollten ihr vormachen, dass da irgendwo noch jemand war.
»Ich scheiß auf dich und auf alles, was du bist«, rief sie trotzig. »Ich hasse dich! Hörst du mich? Du hast doch ein Problem und nicht ich!«
Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Knie, richtete sich halb auf und starrte in den schwarzen sternlosen Himmel hoch. Alles war umsonst gewesen. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn, weil er sie benutzt und dann einfach weggeworfen hatte. Klar, er machte sich nichts mehr aus ihr. Sie wäre ja dumm gewesen, wenn sie das nicht begriffen hätte. Schließlich waren ihr die Gerüchte zu Ohren gekommen. Wem auch nicht? Sie wusste, dass es andere Frauen gab, und doch hatte sie gehofft, sie würde ihm etwas bedeuten. Verrückt, wie sie gewesen war, hatte sie geglaubt, er würde sie aus ihrem beschissenen Leben rausholen und irgendwie retten. Dann hatte er bekommen, was er wollte, und das Interesse an ihr verloren.
Erst an der kalten Nässe auf ihrem Gesicht merkte sie, dass sie weinte. Mit einer heftigen Handbewegung wischte sie die Tränen weg, verachtete sich für ihre Gefühlsduselei und war wütend, weil sie ihn zu dicht an sich herangelassen hatte.
»Ist mir doch scheißegal, was du sagst. Ich werde jedem, der mir passt, erzählen, was du mit mir gemacht hast. Und dann wird es dir leidtun! Hörst du mich? Du Scheißkerl, du wirst das so was von bereuen!« Sie ignorierte die Tränen, die ihr über das Gesicht liefen.
Erschöpft versuchte sie, auf die Beine zu kommen. Als sie sicher war, dass sie stehen konnte, zog sie ihr Handy aus der Tasche ihres kurzen schwarzen Baumwollrocks, um nachzusehen, ob eine Nachricht eingegangen war.
Niemand hatte sich gemeldet. »Mistkerl!«, murmelte sie.
Sie scrollte durch ihr Telefonverzeichnis und suchte nach seiner Nummer.
Plötzlich hörte sie von hinten Schritte, drehte sich um und lächelte vor Erleichterung, weil er zurückgekehrt war.
Dann erstarrte sie, und das Lächeln verschwand.
»Ich – ich habe das nicht so gemeint. Das, was ich gesagt habe, das war doch nur, weil ich so wütend war, weiter nichts …«, stammelte sie und schüttelte den Kopf.
Sie brauchte einen Moment, um zu erfassen, was als Nächstes geschehen würde. Erschrocken ließ sie das Handy fallen, machte ein paar taumelnde Schritte rückwärts und versuchte wegzukommen.
In ihrer Hast stolperte sie und fiel hin. Benommen griff sie nach ihrem heruntergefallenen Schal, zog sich auf die Knie und versuchte, sich aufzurappeln. Ein heftiger Tritt in ihren Rücken raubte ihr den Atem und brachte sie wieder zu Fall.
Der Schal wurde ihr aus der Hand gezerrt.
Als ihr Kopf an den Haaren zurückgerissen wurde, schrie sie auf.
Dann wurde ihr etwas um den Hals geschlungen, und sie fragte sich, was das denn jetzt sollte. Als sie es begriff, war es zu spät. Da war der Schal bereits fest in ihrem Nacken verknotet. Schreiend krallte sie ihre Hände hinein. Doch je heftiger sie sich wehrte, desto enger wurde er gedreht, bis sie schließlich verstummte.
Hektisch riss sie an dem Stück Stoff, versuchte verzweifelt zu atmen, doch der Schal saß fest. In wilder Panik kratzte sie an ihrem Hals, während der brennende Schmerz in ihrer Lunge immer stärker wurde. Schließlich sackte sie zusammen, und ihre Sinne schwanden. Das, was dann geschah, bekam sie nicht mehr mit.
Kapitel 2
Freitag
Das Telefon klingelte. Sicher irgendeine schlechte Nachricht. Sein Herz begann zu hämmern. Er drehte sich auf den Bauch und drückte den Kopf tief ins Kissen, doch das Klingeln hörte nicht auf. Er versuchte, es auszublenden, was ihm jedoch nicht gelang. Als er die Augen öffnete, war
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