0988 - Das Labyrinth von Eden
sie die Finger wieder herauszog, ahnte sie, was sie dazwischen festhielt.
Offenbar strahlte sie über das ganze Gesicht, denn Madame Claire sagte: »Du weißt schon, was es ist!«
»Ich glaube…« Carrie holte es hervor - zwei, nein, drei unterschiedlich geformte Körner. »Oh, wie schön. Samen!« Sie beugte sich über das Geschirr hinweg zu Madame Claire und küsste sie auf die rote Wange. »Danke, danke!«
»Es ist eine Mischung unterschiedlichster Blumen, die wohl auch zu verschiedenen Zeiten blühen… Ich habe sie aus der Stadt kommen lassen. Du kannst sie heranziehen und hinpflanzen, wo immer du magst.«
»Was für eine bezaubernde Idee! So ein schönes Geschenk bekam ich noch nie.«
»Na, na. Jetzt übertreibe nicht. Aber ich freue mich, wenn es dir gefällt.«
Carrie sprang auf. »Ist es schlimm, wenn ich… wenn ich…«
»Wenn du gleich damit anfängst?« Madame Claire lächelte. »Aber nein. Tu, was dir gefällt! Aber vorher sagst du mir noch, wie es dir geht. Alles in Ordnung?«
Carrie nickte stürmisch. »Alles in Ordnung! Alles, alles, alles!«
»Ich hörte, dass du noch mal komplett medizinisch durchgecheckt wurdest. Du bist wieder ganz gesund, heißt es!«
Carrie blickte sie an. »Wenn Sie den Krebs meinen«
Ein Schatten huschte über das Gesicht der Köchin. Sie zögerte, nickte dann aber. »Ja«, sagte sie rau. »Den meine ich.«
»Wie weggeblasen!« Carrie lächelte und setzte erneut an, sich davonzumachen. »Darf ich jetzt?«
»Natürlich.« Der Schatten war verschwunden. Erleichterung und Freude lagen nun auf Madame Claires Gesicht. »Und lass dir von William helfen, wenn du etwas brauchst!«
Carrie bog bereits um die Ecke und eilte auf das Gewächshaus zu, das sich in einiger Entfernung an das Schlossgemäuer schmiegte. Dort würde sie alles finden, was sie brauchte.
Die nächsten Minuten war sie nur damit beschäftigt, Töpfe mit Blumenerde zu füllen und nebeneinander auf dem klobigen Arbeitstisch aufzureihen.
Erst ganz zum Schluss schüttete sie den restlichen Inhalt des Beutels in ihre hohle Hand.
Während sie auf den Samen blickte, wurde ihr schwindelig. Sie realisierte, dass es nichts mit den Körnern zu tun hatte, sondern…
... mit einer sogartigen Gewalt, die unvermittelt an ihrem Geist zu zerren begann.
Es war wie eine mentale Erschütterung, ein Beben, das Carrie sekundenlang die Orientierung verlieren ließ.
Als sie wieder zu sich fand, kniete sie auf dem Boden des Gewächshauses, und Madame Claires Geschenk lag verstreut um sie herum. Nur zwei, drei Körner klebten noch an der schweißnassen Innenfläche von Carries Hand.
Carrie schloss kurz die Augen.
Als sie sie wieder aufmachte, waren auch noch die letzten Körner aus der Hand verschwunden, offenbar auch noch zu Boden gefallen.
Mechanisch begann sie, den Samen wieder aufzusammeln. Manche Körner waren schmutzig, andere schimmerten makellos.
Carrie brauchte mehrere Minuten, um den Großteil wiederzufinden und auf das Leinensäckchen zu betten, das sie flach auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Endlich richtete sie sich wieder auf. Den Stoff mit den Samenkörnern deponierte sie auf dem Tisch vor den Blumentöpfen. Anschließend drückte sie mit dem Daumen Mulden in die lockere Anzuchterde und ließ mehrere Samenkörner hineinfallen. Als sie so den kompletten Samen über die vorbereiteten Töpfe verteilt hatte, häufte sie Erde über die Vertiefungen und drückte sie leicht mit den Fäusten an.
Nach wie vor beunruhigt wegen des Schwindelanfalls, den sie sich nicht erklären konnte, ging Carrie zum Waschbecken und drehte den Hahn auf. Tief in Gedanken versunken säuberte sie sie ihre Hände und trocknete sie mit einem bereitliegenden Handtuch ab.
Sie war schon fast am Ausgang, als sie das Gefühl hatte, dass ihre eine Hand immer noch nicht ganz sauber sei.
Sie hob den Arm und betrachtete sich die Innenseite, wo etwas störte.
Etwas?
Verblüfft blickte sie auf drei Samenkörner, die an ihrer Haut hafteten. Und so absurd es klingen mochte - in diesem Moment hätte sie Stein und Bein geschworen, dass es sich um dieselben drei Körner handelte, die sie vorhin glaubte, fallen gelassen zu haben.
***
»Carrie! Schön, dass du mich besuchst. Ich vermisse unser gemeinsames Frühstück.«
Nicole Duval blickte von ihrem Schreibtisch auf, als das Regenbogenmädchen zur Tür herein kam.
»Du musst einfach früher auf stehen«, erwiderte die Vollwaise keck. »Bis du aus den Federn gekrochen bist, könnte ich schon
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