0991 - Der Kopf des Vaters
nieder. Noch immer glich sie einer Statue. Die Augen weit aufgerissen, nichts an ihr bewegte sich. Selbst die Wimpern schienen erstarrt zu sein.
Der Druck im Kopf blieb. Er lag auch auf ihren Augen. Eigentlich hätte sie schreien oder weinen müssen. Durchdrehen, irgendwo hinrennen, über den Platz laufen, um Hilfe schreien, das alles wirbelte durch ihren Kopf, aber sie tat nichts. Sie saß an ihrem Platz und schaffte es nicht mal, nach dem Weinglas zu greifen, um den schlechten Geschmack aus dem Mund zu spülen.
Julia konnte sich nicht bewegen. Sie saß einfach nur da und fragte sich, was das alles sollte. Aber auch diese Frage stellte sie sich nicht bewußt.
Sie drängte sich auf und verschwand auch wieder. Einen Zustand wie diesen hatte Julia noch nie durchgemacht und auch nicht durchlitten.
Irgendwann erwachte sie wieder, obwohl es kein richtiges Erwachen war, denn sie hatte nicht geschlafen und sich wie in einem Vakuum gefühlt.
Die Realität hatte sie wieder, und es war für sie eine furchtbare Normalität. Sie brauchte nur nach vorn zu schauen, dort sah sie den Karton mit dem schaurigen Inhalt. Sie konnte aus ihrer Lage nicht in ihn hineinschauen, aber Julia wußte, was darin lag.
Der Kopf! Der Kopf ihres Vaters. Dieser Gedanke strömte durch ihren Kopf, und sie fing an zu schlucken. Der Speichel schmeckte bitter wie Galle, und dieser verdammte Gestank verschwand auch nicht.
Da stand der Karton mit dem Kopf ihres Vaters. Warum hatte man sich diesen makabren Scherz erlaubt? Warum hatte man ihn so schändlich mißhandelt? Sie wußte es nicht, es war für sie nur ein Greuel. Nichts, aber auch gar nichts konnte sie fassen und auf die Reihe bekommen.
Der erste Schock war trotzdem verflogen. Unbewußt dachte sie schon wieder nach und verglich diese Sendung mit den Vorgängen, die sie durchlitten hatte.
Der Killer-Clown, der sich Grogg genannt hatte, war ein Halbbruder gewesen. Ihr Vater hatte ihn gezeugt. Angeblich mit einer Hexe. Später hatte er diese Frau der Tochter gegenüber nie erwähnt. Julia wußte nicht mal, ob ihre Mutter eingeweiht worden war.
Sie stand wieder auf.
Es fiel ihr schon schwer, auf den Tisch zuzugehen und wieder in den Karton hineinzuschauen. Der Kopf hatte sich nicht bewegt. Er stand noch immer ein wenig nach hinten gekippt vor ihr. Sie sah auch die Blutflecken auf der Stirn, aber sie traute sich nicht, den Kopf anzuheben.
Als sie daran nur dachte, überkam sie das große Zittern. Julia wollte auch nicht allein bleiben. Es mußte jemanden geben, der ihr jetzt zur Seite stand und sich mit ihr zusammen um den Kopf kümmerte. Es war unmöglich für sie, den Schädel anzufassen und ihn aus dem Karton zu holen, was sie ja höchstwahrscheinlich tun mußte.
Eines allerdings stand fest. Dieser abscheuliche Fall war noch nicht beendet. Das Auftauchen des Clowns war wohl nur etwas wie ein Vorspiel gewesen. Das Drama ging weiter.
Zum Glück war der Abend noch nicht so weit fortgeschritten, als daß ein Telefongespräch gestört hätte. Natürlich dachte sie an John Sinclair und auch an Suko. Den beiden setzte sie schon Vertrauen entgegen, aber eine Person stand ihr gefühlsmäßig doch näher. Das war die Detektiven Jane Collins, denn an sie hatte sie sich auch gewendet, um die schrecklichen Morde aufzuklären. Durch Jane waren dann die beiden Yard-Männer ins Spiel gekommen, denen sie Vertrauen geschenkt hatte.
Aber zuvor wollte sie mit Jane Collins sprechen. Sie muße zu ihr kommen. Das Gespräch von Frau zu Frau war besonders wichtig. Aber Jane würde ihre Gefühle besser verstehen und würde ihr auch einen Rat geben können, wie es letztendlich weiterging.
Sie zündete sich eine Zigarette an und goß Wein nach. Sie trank und rauchte. Dabei versuchte sie, den Kopf nicht anzusehen. Immer daran vorbeischauend. Das allein zählte, war wichtig. Der Rauch konnte den Verwesungsgeruch nicht übertünchen. Deshalb öffnete Julia zwei Fenster, um so Durchzug zu schaffen.
Dann erst nahm sie das Handy und tippte die Nummer der Detektivin ein.
»Bitte, sei zu Hause«, flüsterte sie, als sie darauf wartete, daß sich jemand meldete.
Sie hatte Glück, denn es war Jane Collins, die abhob, und für Julia gab es kein Halten mehr…
***
Nein, sie hatte John und Suko nicht Bescheid gesagt, weil Jane ein Versprechen nicht brechen wollte. Sie war natürlich entsetzt gewesen, als sie gehört hatte, was Julia Sargasso geschickt worden war. Der Kopf ihres Vaters, abgetrennt vom Körper!
Selbst
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