0991 - Der Kopf des Vaters
Sargasso hielt ihr die Tür auf. Sie stand im Licht, das auch ihr Gesicht umspielte.
Im ersten Moment erschrak Jane Collins, als sie sah, wie bleich die Haut und wie tief die Augen in den Höhlen lagen. An den unteren Seiten zeichneten sich Schatten ab, als wären sie mit dünnen Pinselstrichen aufgetragen worden.
Julia versuchte es mit einem Lächeln. Es fiel ihr nicht leicht, und es wirkte gequält. »Endlich«, flüsterte sie. »Endlich. Du glaubst gar nicht, wie ich auf dich gewartet hatte.« Die beiden Frauen waren zum Du übergegangen; die gemeinsam durchlittenen Erlebnisse hatten sie zusammengeschweißt.
»Ich habe mich beeilt.«
»Das weiß ich, Jane. Komm rein.«
Als die Direktorin zur Seite getreten war, betrat Jane Collins den Wohnwagen. Die Tür war noch nicht wieder hinter ihr zugefallen, als sie bereits den Geruch wahrnahm, mit dem sie gerechnet und auf den sie sich auch vorbeireitet hatte.
Jetzt allerdings, wo sie ihn tatsächlich wahrnahm, mußte sie schon schlucken und wurde selbst blaß, was Julia nicht verborgen blieb. Die Frau wußte, was in Jane Collins vorging, und sie entschuldigte sich für die Veränderung.
»Hör damit auf«, sagte Jane. »Du bist doch nicht schuld daran. Schließ lieber die Tür, sonst haben wir die neugierigen Mitarbeiter gleich hier im Wagen.«
»Natürlich.«
Jane ging nach links. Sie sah die Länge des Wohnmobils vor sich. Die Einrichtung kannte sie. Keine billigen Möbel, dieser Wagen hatte schon eine Stange Geld gekostet, doch das war in diesem Fall unerheblich. Für sie zählte einzig und allein dieser Karton mit dem makabren Inhalt. Er konnte einfach nicht übersehen werden. Julia hatte ihn auf einem Tisch gestellt, auch geöffnet, aber die Öffnung mit einem Tuch abgedeckt.
Jane blieb neben dem Tisch stehen. Julia rang die Hände. »Ich brauche dir nicht viel zu erklären, Jane. Bitte, ich möchte auch nicht, daß du falsch über mich denkst, aber ich wußte mir keinen anderen Rat, als dich anzurufen. Ich dachte ja, daß es vorbei wäre, jetzt aber habe ich den Eindruck, als würde es erst richtig beginnen.«
»Keine Entschuldigungen, Julia. Ich bin so schnell wie möglich gekommen.«
»Der Anblick ist…«
»Darf ich das Tuch abheben?« fragte Jane.
»Sicher.«
Die Detektivin hatte sich innerlich auf den Anblick vorbereitet. Auch jetzt dachte sie noch einmal daran, was sie finden würde. Neben ihr ging Julia einen Schritt zurück. Sie hielt den Atem an und wirkte verkrampft.
Jane hob das Tuch an. Es flatterte dabei zur Seite, die Öffnung lag frei und Jane schaute hinein.
Sie sah den Kopf!
Ihr Herz schlug schneller. Die Hände verkrampften sich zu Fäusten, und sie hielt den Atem an. Schweiß trat auf ihre Stirn. Nur gegen das feucht wirkende, weißgraue Haar konnte sie schauen. Sie sah auch einen Teil der Stirn, wo sich Blutflecken abmalten, die allerdings schon eine fast brau Farbe angenommen hatten.
Das alles bekam sie mit, als sie auch den Atem anhielt, denn der Gestank war kaum zu ertragen.
Dann ging auch sie zurück. Julia war nicht untätig geblieben. Sie hatte ein zweites Glas zur Hälfte mit Rotwein gefüllt und reichte es der Freundin. »Hier, bitte.«
Jane bedankte sich mit einem Kopfnicken. Ein Schnaps wäre ihr lieber gewesen, aber sie nahm das Glas, trank einen Schluck und stellte das Glas wieder ab.
»Nun?«
Jane nickte nur. »Ich wußte es, und ich kann nachfühlen, was du durchgemacht hast, Julia.«
»Stimmt. Wobei ich mich wundere, daß ich noch hier stehe und mit dir rede. Eigentlich hätte ich am Boden liegen sollen, fertig mit den Nerven, am Ende und so…«
»Es ist dein Vater?«
»Ja.« Julia starrte zu Boden. »Wenn du mich jetzt fragst, wer das getan hat und warum es geschehen ist, so kann ich dir keine Antwort geben. Ich weiß es einfach nicht, auch wenn es mit dem Auftauchen des Killer-Clowns zusammengehangen hat.«
»Weiß deine Mutter Bescheid?«
»Gott bewahre, nein! Ich habe sie nicht angerufen. Ich hätte mich das nicht getraut. Ich wäre dazu auch nicht in der Lage gewesen, denn ich hätte kein Wort hervorgebracht. Es tut mir leid, aber so stark bin ich nicht.«
»Du bist stark genug!« unterstützte Jane sie. »Nicht jeder Mensch hätte sich so verhalten wie du.«
Julia winkte ab. »Vergiß es. Ich weiß nicht, wann der richtige Schock kommt, aber ich fühle mich, als wäre ich nicht mehr ich selbst, sondern eine fremde Person. Es ist ja nicht allein der Kopf meines Vaters, den ich hier zu sehen
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