0994 - Problem Langzeitwaffe
Gleichsam wie bei einem rückwärts laufenden Sensofilm liefen in seinem Bewußtsein die gefühlsmäßigen Eindrücke der Verdächtigen rückwärts ab - bis er einen Zeitpunkt erreichte, der fast genau zwölf Stunden zurücklag.
Der Mutant erkannte, daß er nicht länger hätte warten dürfen, denn durch die Rekonstruktion des Sehens und Erlebens der Frau sah er praktisch mit an, wie sie die Schaltung des Antigravlifts so umprogrammierte, daß er das abwärts gepolte Kraftfeld abschaltete, sobald die Schachtsensoren innerhalb des Schachts eine Masse von neunundvierzig Kilogramm feststellten. Anschließend erteilte sie dem Hauswartungsroboter den Befehl im Fall eines Ausfalls des Antigraviifts die Schaltung auf manuell zu programmieren. Damit würde automatisch die vorherige Programmierung gelöscht werden. Um zu verhindern, daß der Roboter darüber berichten konnte, programmierte sie seine Positronik mit einer Überlagerungsschleife, wodurch seine Erinnerungen -der drei Stunden nach der Manuellprogrammierung auf die zuvor „gefütterten" Speicher gegeben wurden und die betreffenden Daten löschten.
Für die Roboterspezialisten des KOD mußte es so aussehen, als hätte der Hauswartungsroboter drei Stunden lang untätig herumgestanden und infolge fehlender Beobachtungen auch nichts registriert.
Bran Howatzer erschauderte. Mit blassem Gesicht starrte er die Frau an, als könnte er es nicht fassen, daß sie einen solch raffinierten Mord geplant und begangen hatte.
„Was schauen Sie mich so an?" fragte Lilje Korbus unsicher.
„Sie hat ihn ermordet", sagte Bran Howatzer tonlos. Danach erklärte er wie die Verdächtige es angestellt hatte.
Als er fertig war, tobte Lilje Korbus wie eine Wahnsinnige und mußte mit einer Injektion apathisiert werden, damit sie abgeführt werden konnte.
Als Goran Maisk zurückkehrte - er hatte die Besucher vorschriftsmäßig in den Warteraum zurückgebracht, von wo aus sie von einem Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung des Instituts zu einer Außentür begleitet wurden -, blickte er verwundert auf den Mutanten, der weit zurückgelehnt in seinem Sessel saß und anscheinend geistesabwesend an die Decke starrte.
„War es so schlimm, Bran?" fragte er.
Bran Howatzer zuckte zusammen, dann blickte er Goran Maisk an und lächelte leicht.
„Es war schon schlimm, aber das ist es nicht, Goran. Während Sie abwesend waren, bemerkte ich plötzlich eine Veränderung der Impulse des Margor-Schwalls."
„Des mentalen Leuchtfeuers der Provcon-Faust!" entfuhr es dem Ertruser. „Wie hat er sich denn verändert, Bran?"
„Das weiß ich nicht", antwortete der Gäa-Mutant. „Die Impulse haben sich nach und nach verändert, was ungefähr drei Minuten dauerte. Danach blieb die Veränderung konstant."
Goran Maisk dachte eine Weile nach, dann sagte er: „Wie immer sich die Impulse verändert haben mögen, eine Veränderung dieses mentalen Leuchtfeuers dürfte auf jeden Fall bedeutsam sein. Ich denke, Sie sollten darüber dem Ersten Terraner berichten, den Sie ja persönlich kennen."
Bran Howitzer nickte.
„Zuerst werde ich mich mit meinen Freunden Dun und Eawy in Verbindung setzen, um festzustellen, ob sie ebenfalls die Veränderung bemerkt haben. Danach müssen wir wohl Tiff darüber berichten. Mein Versuchsprogramm ..."
„Wird angehalten", versicherte Goran Maisk ihm. „Es ist sicher nicht so wichtig wie die Veränderung des Margor-Schwalls."
*
„Nun?" fragte Dun Vapido drängend und blickte auf Eawy ter Gedan herab, die neben ihm mit angezogenen Beinen auf dem rechten Sitz eines Fluggleiters hockte.
Die 1,74 Meter große, schlanke und gut proportionierte junge Frau von einundzwanzig Jahren rührte sich nicht. Sie schien ihren Begleiter nicht gehört zu haben. Ihre dunklen Mandelaugen starrten ins Leere, und ihre vollen Lippen bewegten sich wie im stummen Selbstgespräch.
Die Lippenbewegung war es, die Dun Vapido verriet, daß er Eawy ter Gedan nicht stören durfte. Das Relais, wie die Gäa-Mutantin von Außenstehenden genannt wurde, fing mit ihrem mutierten Gehirnsektor einen Funkspruch auf. Nur zu diesem Zweck befanden sich die beiden Mutanten schließlich im Gebiet von Synthesis District, wie das ehemalige RheinischWestfälische Industriegebiet heute hieß, nachdem die einstmals bedeutendste Industrieballung Kontinentaleuropas zu einer riesigen Parklandschaft geworden war, in der vollrobotische Zechen und Synthesefabriken unterirdisch an der Forderung des Chemierohstoffs
Weitere Kostenlose Bücher