1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
uns alle mit Einkäufen – wer einmal gesehen hat, wie im Wachstum befindliche Jugendliche wie Raupen über den Kühlschrank herfallen, um bereits nach zwei Stunden wieder über heftige Hungergefühle zu klagen, der weiß auch, welche Mengen Jonas zwei Mal wöchentlich in unsere Wohnung zu schaffen hatte. Jonas war dreizehn Jahre alt, als er ganz allein seinen ersten Großeinkauf bei Aldi tätigte. Diesen Discounter mochten wir zwar nicht besonders, aber dessen unschlagbare Preise betäubten unser ökologisches Gewissen und ließen unsere Haushaltskasse aufatmen. Jonas organisierte sich zu seinem Fahrrad (Sperrmüllfund, aufgebrezelt, zum Kultobjekt geadelt) einen alten hölzernen Anhänger. In diesen passte alles hinein, wenn die Dinge sorgfältig gestapelt wurden. Ich kenne niemanden, der an der Supermarktkasse so schnell, so gut Ware zu einem perfekten, den Raum ausfüllenden Mosaik legen kann wie Jonas. Nach wenigen Wochen kannte man den Jungen bereits im Supermarkt. Die Kassiererinnen beäugten seine Wahl der Lebensmittel mit unverhohlener Bewunderung, errechneten die Haushaltsgröße und fragten ihn schließlich, ob er für ein betreutes Jugend-Wohnprojekt einkaufen würde.
Eine andere Kundin beobachtete, wie Jonas sich mit dem schweren Anhänger abstrampelte, und fragte ihn, wo denn seine Mutter sei.
»Die muss arbeiten.«
Die Dame schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und meinte im abschätzigen Ton, da müsse mal jemand das Jugendamt informieren.
Ganz anders die Reaktion eines älteren Herrn. Jonas berichtete, der Mann habe ihn seit längerem im Visier gehabt und sei schließlich nach einigen Monaten auf ihn zugekommen.
»Junge«, sagte er freundlich zu Jonas, »ich hab gesehen, wie du das hier machst mit dem Einkaufen. Hast bestimmt ein paar Geschwister. Deine Eltern können stolz auf dich sein. Bist ein prima Kerl.«
Jonas beschloss, das Amt des Einkäufers nie aufzugeben. Er malte sich bereits aus, wie er als Achtzehnjähriger mit einem Auto vorfahren würde, um den ganzen Krempel lässig zu verstauen.
Tills Familienaufgabe war recht einfach: die Entsorgung von Müll. Insgeheim lachte er sich ins Fäustchen, dass er es so gut getroffen hatte. Der eigentliche Arbeitsaufwand bestand jedoch darin, alle zur korrekten Mülltrennung zu ermahnen, die jeweiligen Behälter zu reinigen und die Glas- und Pfandflaschen regelmäßig wegzubringen. Obwohl er zeitlich einen guten Schnitt machte, wollte jeden Sommer, wenn ein Aufgabentausch anstand, niemand seinen Job haben. Till blieb unser Müllmann, er nahm es irgendwann hin. Unersetzlich wurde er jedoch bei Fällen von Krankheit in der Familie. Keiner konnte sich mit einem solchen Gleich- und Sanftmut um launische Kranke kümmern wie er. Als Mutter hat man ein großes Herz, und jedes Kind, das darbend daniederliegt, rührt einen an. Aber Till war noch mütterlicher, als ich es je sein konnte.
An einem Montag wurden wir alle bis auf Till von dem meldepflichtigen Noro-Virus gepackt. Wir lagen mit flacher Atmung auf Matratzen in einem Zimmer herum, behielten nichts bei uns und waren ein einziges Bild des Jammers. Till wanderte geduldig mit Eimer und Handtüchern von Lager zu Lager, gab uns lauwarmen Tee zu trinken, machte sauber, sprach tröstende Worte, rief in der Schule an, um die Geschwister zu entschuldigen, erklärte, dass er selber nicht kommen könne, weil er sich um die Kranken kümmern müsse. Er dämmte laute Geräusche ab, lüftete kurz durch, verabreichte Medikamente, legte seine eigene Matratze zu uns ins Zimmer, um nachts schnell bei uns sein zu können.
Wenn eines der Geschwister später noch einmal krank wurde, konnte ich mich – falls ich unterwegs war – stets auf Tills Krankenpflege verlassen.
Die Jüngste erhielt selbstverständlich auch eine Familienaufgabe: Sie wurde mein Küchenhelferlein. Meine eigene Familienaufgabe war das Kochen für die Mannschaft, und Millie war meine Assistentin für die Zubereitung der Speisen. Scharfe Messer, Reiben, elektrische Küchenmaschinen – und das alles in den Händen einer Fünfjährigen. Ja, das geht. Sie hat sich nicht ein einziges Mal geschnitten. Sie ging unter meiner Anleitung sorgfältig und vorsichtig mit allem um. Heute ist sie ein alter Hase in der Küche und nimmt in der Ganztagsschule an einem Kochclub teil.
Die kleine Millie hatte jedoch noch eine andere Aufgabe, die ich ganz bewusst ihr als Jüngster gab: Falls ich Abendtermine hatte, sollte sie dafür sorgen, dass alle pünktlich ins
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