1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
hätte mir denken können, dass die zuckerentwöhnte Rasselbande nur bis zu den Schokoküssen kam – ich räumte alleine weiter ein, während sich die Kinder mit großem Geschrei über eine Packung hermachten. (Die beiden anderen Packungen versteckte ich wohlweislich und rückte sie später in fein dosierten Mengen heraus.) Die Jungen wussten vor allem die Brühwürstchen zu schätzen, die es die nächsten Tage zusammen mit leckerem Kartoffelsalat gab. Die Mädchen freuten sich besonders über Milchreis und Apfelmus. Ich behielt für mich selbst eine Tüte Kartoffelchips zurück; gemeinsam mit einem Glas Rotwein war dies am selben Abend für mich ein herrliches Verwöhnen.
Mit den nicht ganz korrekt erworbenen Lebensmitteln konnte ich meine Lieben zwei Wochen lang ernähren. – Wie unreflektiert war ich früher im Supermarkt einkaufen gewesen, mit vollem Portemonnaie, ohne Sonderangebote oder besonders günstige Packungsgrößen zu beachten. Allerdings brauchte ich auch nie Zugeständnisse an die Qualität von Lebensmitteln zu machen. Es fiel mir in der Zeit der Geldnot nicht schwer, weniger zu kaufen, aber ich musste mich anfangs immer überwinden, weniger hochwertige Lebensmittel zu kaufen. Es ging aber nicht anders, alles andere wäre zu teuer gewesen.
Einen Ausweg bot später nach meinem Auszug mit den Kindern ein Gemüsebeet im Mietergarten, der zu unserer Dreizimmerwohnung im Erdgeschoss gehörte. Hier pflanzten die Kinder und ich Kartoffeln, Gurken, Möhren und Bohnen und anderes an. Ich kramte das Buch des Farmers John Seymour »Selbstversorgung aus dem Garten« wieder hervor, das damals zu Studentenzeiten von uns ökologisch Bewegten mit Begeisterung für ein mit der Scholle verbundenes Leben verinnerlicht worden war. Jetzt machten Seymours Anweisungen zum richtigen Setzen von Kartoffeln, zur Pflege von Tomaten- und Bohnenpflanzen, zum Bearbeiten des Erdreichs wirklich Sinn. Was früher romantische Öko-Träumerei gewesen war (»Wir gründen eine Landkommune in der Toskana, stellen Ziegenkäse her und bauen Wein an.«) verwandelte sich jetzt in die Überlebenskunst einer vierfachen Mutter, die vor wenigen Monaten noch in ihren Stöckelschuhen im KaDeWe mit goldener Kundenkarte einen Satz neuer Cocktailgläser bezahlt hatte.
Es gab zwar nicht viele positive Auswirkungen des Zusammenbruchs unserer mittelständischen Existenz – aber eine neue, kritische Einstellung zum Konsum gehörte sicher dazu. Mein Einkaufsverhalten und das der Kinder hat sich seitdem grundlegend verändert.
Als ich ein knappes Jahr später beim Auszug aus der Villa den Haushalt auflösen musste, organisierte Schwester Felicitas fünf starke junge Männer. Sie halfen, alles zu verscherbeln, was nicht unbedingt gebraucht wurde. Mit vier Kindern, vier Koffern und vier Matratzen zog ich in eine kleine Wohnung im fußkalten Erdgeschoss. Als Friedas Matratze auf dem Fußboden zu schimmeln anfing, zweigte Schwester Felicitas ein Bettgestell aus dem Seniorenheim ab. Frieda verkaufte ich den verstellbaren Lattenrost als Luxusausstattung und die ungewohnt hohen Bettkanten als Schutz gegen Brüder, die sich sonst immer gerne mit Anlauf auf ihr Bett schmeißen würden.
Ich kann nicht genau sagen, woran es lag, dass Frau Mendes seit der Begegnung mit Schwester Felicitas und mir vor ihrem Gartenzaun eine gewisse Distanz zu mir wahrte. Einmal sah ich sie mit der Frau des Küsters tuscheln, dann blickten die beiden auf meine Kinderschar, dann auf mich. Ich dachte nur an die vielen Negerküsse, die meine Kleinen in sich hineingestopft hatten, und war bereit, den Mundraub aus dem Gemeindezentrum mit aller Vehemenz zu verteidigen. Schwester Felicitas erzählte mir Jahre später einmal, sie sei damals von Frau Mendes auf die junge Mutter mit den vier Kindern angesprochen worden. Dass sie kein Verständnis dafür habe, dass die mit den Kindern aus der Villa ausgezogen sei und den Ehemann alleine zurückgelassen habe. Die wolle sich doch nur selbst verwirklichen. Und dann ihrem Sohn aber noch nicht mal einen ordentlichen Anzug zur Kommunionfeier gönnen.
Mama, warum verkaufst du so viele schöne Sachen?
Wir brauchen Geld. Und die Sachen sind nicht so wichtig.
Aber was sollen wir dann mal kriegen, wenn du tot bist?
Wallraff – nicht ganz freiwillig
W enn Sie anfangen, die winzig gedruckten Stellenanzeigen zu lesen, haben Sie schon verloren.
Mitarbeiter für leichte Telefontätigkeit gesucht. Keine Chiffre, nur eine Telefonnummer. Ein kurzer
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